Dämonisches Tattoo
Beleidigung eines Bundesagenten hinter Gittern zu landen, nur weil es Ihnen nicht reicht, mich auflaufen zu lassen.«
»Verbuchen Sie es unter Anfängerfehler.«
»Dafür schulden Sie mir was.«
»Sie werden auch beim nächsten Mal keine anderen Antworten bekommen.« Ihr Atem wurde leiser, sie war im Begriff aufzulegen. »Lombardi?«
Chase dachte schon, sie würde ihn nicht mehr hören, als ein »Ja?« erklang.
»Ich könnte Sie auch verhaften lassen, wenn ich nicht im Dienst bin«, sagte er und beendete die Verbindung.
Drei Monate später …
1
»Hier ist die Teilnehmerliste, Agent Ryan.« Miss Tanner war in der Tür stehen geblieben und wedelte mit einem Blatt Papier. »Brauchen Sie Kopien davon?«
Chase schüttelte den Kopf. »Mir reicht ein kurzer Blick darauf.«
Morgen früh würde er in der FBI-Akademie einen Vortrag über Profiling halten. Die Veranstaltungen waren jedes Mal ausgebucht und wurden von einer Schar unterschiedlicher Zuhörer besucht, die sich von Polizisten über FBI-Anwärter bis hin zu gestandenen Agenten erstreckte. Von Zeit zu Zeit fanden sich auch interessierte Laien im Auditorium, die sich aus den verschiedensten Gründen für sein Fachgebiet interessierten. Für gewöhnlich waren es Autoren oder Drehbuchschreiber, die einen ersten Eindruck gewinnen wollten, bevor sie sich mit ihren tiefer gehenden Fragen direkt an Chase wandten. Die Beratung von Kreativen war nur ein winziger Teil seiner Tätigkeit, den er sehr zu schätzen wusste. Es war eine angenehme Abwechslung, sich über fiktive Morde und Täter zu unterhalten, statt über reale Verbrechen, deren Bilder auf seinem Tisch lagen und in seinem Kopf herumspukten.
Er nahm seiner Assistentin die Liste ab und warf einen Blick darauf. Viele Polizisten, noch mehr FBI-Leute, keine Kreativen. Es sei denn, man zählte Lombardi dazu, die ebenfalls auf der Liste stand.
»Brauchen Sie sonst noch etwas, Agent Ryan?«
»Danke, Miss Tanner, das wäre für den Moment alles.« Sobald sie hinausgegangen war, ließ Chase das Blatt auf den Schreibtisch segeln, griff nach seiner Kaffeetasse und spülte einen aufkommenden Seufzer mit einem großen Schluck kaltem Kaffee hinunter.
Seit seinem letzten Telefonat mit Lombardi waren drei Monate vergangen. Sie hatte danach noch einige Male versucht ihn zu erreichen, war jedoch jedes Mal an Miss Tanner gescheitert, die Anweisung hatte, sie abzuwimmeln. Schließlich hatte sie aufgegeben und Chase war davon ausgegangen, nun Ruhe zu haben. Offensichtlich hatte er ihre Hartnäckigkeit unterschätzt. Diese Frau war wie ein Kaugummi, der einem unter der Schuhsohle klebte.
Überhaupt war in den letzten drei Monaten vieles nicht so gelaufen, wie er es gern gehabt hätte. Frank war einige Zeit krankgeschrieben gewesen und hatte bei seiner Schwester gewohnt. Auf Chase’ Anrufe hatte er nicht reagiert und nie zurückgerufen. Schließlich hatte er das Haus in Alexandria verkauft und sich nach Quantico versetzen lassen, wo er die Neulinge in Verbrechensanalyse und forensischer Psychologie unterrichtete. Er ging Chase nicht aus dem Weg, doch wenn sie einander begegneten, kamen sie nie über den Austausch von Belanglosigkeiten hinaus. Alle Versuche, mit ihm über Dianas Tod zu sprechen, scheiterten an Franks Ausweichmanövern. Es gab keine Anzeichen, dass Frank noch immer wütend auf ihn war. Chase wusste nur zu gut, dass er an jenem Tag einfach jemanden gebraucht hatte, dem er die Schuld geben und auf den er seinen Hass konzentrieren konnte – andernfalls wäre er daran zerbrochen. Seine Befürchtung war jedoch, dass Frank mittlerweile klar geworden war, dass sein eigenes Pressestatement, in dem er den Mörder als einen kranken Perversen bezeichnet hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit der Auslöser für die Tat gewesen war. Dieser Mann war so versessen darauf, seine Überlegenheit zu demonstrieren, dass er eine derartige Herausforderung unmöglich ignorieren konnte. Darauf hatte Frank gebaut – ohne zu ahnen, welche Konsequenzen das für ihn haben würde. Chase wusste nicht, ob Frank in therapeutischer Behandlung war, doch so, wie er den Mann kannte, hatte er jedes Angebot auf Unterstützung abgelehnt. Wenn er jedoch länger auf die Hilfe eines Fachmannes verzichtete, würden ihn die Schuldgefühle auffressen und zerstören, was von seinem Leben übrig geblieben war. Dass er sich abschottete, war ein erstes Anzeichen dafür, dass er die Straße zur Selbstzerstörung bereits betreten hatte.
Chase hatte Frank nie
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