Daisy Sisters
Leben geklammert hat.
Er schläft, als sie kommen. Der Zug hatte Verspätung (hinter Hosjö haben sie über eine halbe Stunde auf der Strecke gestanden), und plötzlich wurden die Schmerzen so stark, dass er es nicht mehr ohne Tabletten aushielt. Sie betäuben ihn wie ein Keulenschlag, und Elna und Eivor stehen stumm an seinem Bett und schauen ihn an.
Mutter und Tochter. Zwei schwangere Frauen.
Rune erwacht erst am nächsten Morgen. Er schlägt die Augen auf in dem schwachen Dämmerlicht und weiß nicht, wo er ist. Er hat geträumt, und der Traum folgt ihm ins Dasein mit so beharrlicher Kraft, dass er zunächst das Schlafzimmer nicht erkennt, in dem er seit mehr als vierzig Jahren erwacht. Langsam kehrt er ins Leben zurück.
Ohne dass er den Kopf wenden muss, weiß er, dass seine Frau Dagmar schon aufgestanden ist, und als er lauscht, hört er ihre Stimme aus der Küche. Aber mit wem spricht sie da?
Wie spät mag es sein? Dem Licht nach zu urteilen, das durch die Rollos schimmert, nicht später als sieben, vielleicht nicht mal das. Vielleicht ist es Ester, die mit ihren geschwollenen Beinen mühsam die Treppe von der unteren Etage heraufgestiegen ist, um zu hören, wie es ihm geht.
Dann fällt es ihm ein. Elna und Eivor. Tochter und Enkelin. Sie sollten gestern ankommen. Ja, jetzt erinnert er sich. Der Zug hatte Verspätung, und dann musste er die Tabletten nehmen und ist wohl eingeschlafen davon. Verdammt auch! Das ist vielleicht ein Empfang. Aber sollte nicht Staffan auch mitkommen? Ein Kind müsste man doch wohl hören? Wenn doch Dagmar jetzt bloß hereinkommen und lüften würde, damit er die beiden begrüßen kann.
Er hüstelt, und sie hört ihn und kommt rein. »Bist du jetzt wach?«, fragt sie und lächelt.
»Lüfte«, zischt er.
Sie nickt und öffnet das Fenster. Dann schaut sie ihn wieder an, aber er schüttelt den Kopf: Nein, er hat keine Schmerzen. Noch nicht.
»Ist der Junge da?«, fragt er beunruhigt.
»Ja«, sagt sie. »Aber er schläft.«
»Wie sehe ich aus?«
»Ist schon gut so …«
Und dann ist er bereit, sie zu sehen. Seine Familie, das Urenkelkind, das ihn mit fragenden Augen anschaut. Der Schmerz kommt schleichend, aber er weigert sich hartnäckig, die Tabletten zu nehmen, um einigermaßen klar im Kopf zu bleiben.
Am Nachmittag, als Staffan draußen auf dem Küchensofa liegt und schläft, setzt sich Eivor zu ihm. Sie fragt, ob er starke Schmerzen habe, und er verzieht das Gesicht als Antwort.
»Wie geht es dir?«, fragt er. »Staffan sieht ja kräftig aus …«
Ohne dass sie es sich vorgenommen hat, fängt sie an, ihm alles zu erzählen. Am Morgen haben sie und Elna nacheinander berichtet, dass sie ein Kind erwarten. Es hat eine Weile gedauert, bis er es geglaubt hat, aber nachdem sie ihn überzeugt hatten, fragte er freundlich knurrend, ob sie es nicht ein bisschen hätten aufteilen können. Eivor hat dazu nichts gesagt, aber jetzt, als sie allein an seinem Bett sitzt, berichtet sie davon, wie sie wieder arbeiten wollte, dass Jacob aber dagegen war und dass sie stattdessen jetzt ein Kind bekommt. Sie merkt, dass er zuhört, und sie berichtet so detailliert wie möglich. Das Einzige, was sie auslässt, ist der demütigende und folgenschwere Augenblick auf dem Fußboden.
»Das war ja Pech«, sagt er, als sie schweigt, und sie sieht, dass er es wirklich meint.
»Es ist manchmal so schwierig«, fährt sie fort.
»Ja«, sagt er langsam. »Aber man muss es ertragen. Das ist vielleicht das Einzige, wofür man sich loben kann. Dass man es ertragen hat …«
Er unterbricht sich mitten im Satz, als ob er zu viel gesagt hätte.
Er schaut Eivor an, die auf der Bettkante sitzt. So jung war Dagmar auch einmal gewesen. Aber was dachte sie damals? Hatte nicht auch sie Träume, die von seiner polternden Stimme und seiner selbstverständlichen Art, immer derjenige zu sein, der am stärksten auf den Boden stampfte, unbarmherzig unterdrückt wurden? Er verzieht das Gesicht bei dem Gedanken …
»Hast du Schmerzen?«, fragt Eivor.
»Nein, nein«, sagt er. »Ich denke nur …«
»Woran?«
»Nein …«
»Sag es mir!«
»Dass nicht das Radio oder das Fernsehen die größte Veränderung gebracht hat. Sondern Staubsauger und Linoleumböden …«
»Warum das?«
»Das solltest du verstehen. Denn du bist es doch sicher, die zu Hause bei euch Staub saugt und den Boden wischt. Ich weiß doch, wie es früher war. Oder besser gesagt, Dagmar weiß es. Es gab eine Zeit, als so jemand wie deine
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