Daisy Sisters
das tatsächlich sein?
Das einzige Fenster, das erleuchtet ist, der Rest der Fassade ist dunkel. Sie meint plötzlich einen Schatten zu sehen, der sich im Zimmer auf und ab bewegt. Ein Nachfolger, vielleicht auch ein neu eingezogenes Mädchen, im gleichen Alter wie sie. Mit den gleichen Träumen, der gleichen Unruhe.
Und sie steht jetzt hier und erwartet ihr zweites Kind. In einem Zimmer hinter ihr schläft ihr Sohn, in einem anderen ihr Mann Jacob. Hier im Wohnzimmer haben sie eine Couchgarnitur und ein Bücherregal, das noch ziemlich leer ist, ein Radio, einen Plattenspieler und einen Fernseher. In einer Ecke des Zimmers liegen Staffans Spielsachen, in einer anderen Jacobs neue Scheibenhantel. Auf einem Tisch neben der Tür zum Flur steht ihre Nähmaschine …
Zwei Jahre. So hatte sie sich die Zukunft nicht vorgestellt, als sie selbst hinter jenem Fenster herumlief, auf das sie jetzt schaut. Aber ist es unbedingt schlechter geworden?
Sie ist zwanzig Jahre alt, sie erwartet ihr zweites Kind, sie ist verheiratet mit einem Mann, der nicht säuft und der sich über seinen Sohn und das Baby freut, das sie erwartet. Würde sie das gegen eine hektische Abteilung bei Algots eintauschen wollen? Gegen die unruhige Suche nach etwas anderem, in Autos, die ununterbrochen um einen verlassenen Marktplatz kreisen?
Aber trotzdem. Da ist etwas, was nicht stimmt, was sie ständig erinnert …
Sie kriecht zurück ins Bett und zieht die Decke bis zum Kinn hoch.
1972
E s ist ein Freitagabend, Anfang November 1972. Eivor sitzt an einem kleinen Tisch nahe der Tanzfläche in der Göteborger Filiale der Restaurantkette Baldakinen, als sie plötzlich mit einer Art unheimlicher Faszination erkennt, dass sie eine von all den geschiedenen Hausfrauen geworden ist, die das Tanzlokal besuchen, um es im besten Fall in Gesellschaft eines Mannes zu verlassen. Es ist früh am Abend, gerade mal zehn Uhr, und die große Treibjagd nach nächtlicher Begleitung ist noch nicht über das erste träge Stadium hinausgekommen. Zufällig ist Eivor allein am Tisch, ihre Freundin (sie nennt sie so, Kajsa Granberg, obwohl sie nichts anderes gemeinsam haben, als dass sie beide am Flugplatz Torslanda arbeiten) ist draußen auf der Damentoilette.
Auf dem Tisch steht Eivors Glas mit zerstoßenem Eis, Gin, Peter Heering, Likör und Sodawasser, ein Singapore Sling, aber bis jetzt hat sie ihn noch nicht angerührt. Ehe sie und Kajsa sich in die Straßenbahn gesetzt haben und in die Stadt gefahren sind, haben sie sich eine Flasche Wein geteilt und ein paar Tropfen Kakaolikör. Sie fühlt sich erfreulich angeregt, völlig ausreichend. Kurt-Rolands Orchester klingt gut, auch wenn sie einen der großen Lautsprecher genau hinter ihrem Kopf hat (na ja, auf diese Weise entgeht sie einem ausführlicheren Gespräch mit Kajsa Granberg, und darüber ist sie froh. Von Kajsas unbegreiflicher Bewunderung für Lasse Berghagen zu hören … Nein, da nimmt sie schon lieberdas hämmernde Trommeln tief im Ohr in Kauf. Vielleicht ist Kajsa ja genauso froh, sich nicht mit ihr unterhalten zu müssen?).
Hier sitzt sie also, schaut auf das zunehmende Gedränge auf der Tanzfläche (es ist Mamie Blue , unwiderstehlich in seiner einschmeichelnden Eintönigkeit) und fragt sich, was, um alles in der Welt, geschehen ist. Sie hier wie jedermann im Baldakinen? Genauso denkt sie, und ohne nennenswert zu protestieren, gibt sie sich selbst die Antwort. Hierher gehen solche wie sie, die guten Menschen der Nation, mit Jugend und Ehe hinter sich, Dreißigjährige, die nach einem neuen Anfang suchen. Warum sollte sie nicht hier sein? Sie ist dreißig Jahre alt, bald einunddreißig, die Ehe mit Jacob Halvarsson zerbrach endgültig, als er Geschäftsführer wurde und sich besser organisierte Seitensprünge leisten konnte. Sie wusste längst davon – jeder Tag eine schreiende Erinnerung daran, dass sie jetzt aufbrechen müsste, wenn es je etwas werden sollte. Sicherlich hätte sie warten können, bis er eines Tages gekommen wäre und gesagt hätte, dass er eine jüngere Frau gefunden habe und sich scheiden lassen wolle. Schweigen und eine zunehmende Abneigung dauerten nun schon seit Jahren an. Nein, wenn sie selbst aufbrechen wollte, musste sie es jetzt tun, schnell, und so geschah es dann auch. Im Januar 1972 ist sie weggegangen, nach Göteborg gezogen, um mit den Kindern allein zu leben. Sicher hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie Staffan und Linda mitten zwischen
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