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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ist beinahe leer, es sind nur wenige Reisende da.
    »Ich hoffe, ihr habt eine gute Reise«, sagt er.
    »Der Zug ist noch nicht da.«
    Sie hört selbst, wie sauer sie klingt. Sauer, verärgert, er kann es sich aussuchen. Bei jeder Gelegenheit versucht sie, ihn zu reizen.
    »Verstehst du, was es heißt, ein Kind zu tragen?«, sagt sie plötzlich.
    Er sieht sie verständnislos an. Er ist es doch, der Staffan auf seinen Schultern trägt!
    »Hier drinnen«, sagt sie und zeigt auf ihren Bauch.
    Aber natürlich begreift er nicht, was sie meint.
    Er steigt mit in den Zug, es gibt genügend freie Plätze, er tätschelt ihr linkisch die Wange und macht, dass er wieder auf den Bahnsteig kommt. Als der Zug aus dem Bahnhofrollt und sie Staffan ans Fenster hält, damit er winken kann, denkt sie, dass Jacob vermutlich froh darüber ist, ein paar Tage für sich zu haben.
    Vielleicht ist er ja deswegen nicht mitgekommen? Damit er auf dem Sofa liegen kann in einer leeren und leisen Wohnung und sich um nichts kümmern muss? Oder … Nein, daran wagt sie nicht zu denken …
    Wälder, Telegrafenmasten, offenes Feld und Bahnhofsgebäude wirbeln vorbei. Staffan folgt fasziniert allem, was vor dem Fenster geschieht.
    Mit einem plötzlichen Anfall von Wehmut erinnert sie sich, wie sie an einem kalten Januartag den entgegengesetzten Weg einschlug, um bei Konstsilke anzufangen. Aber was dachte sie damals? Sie versucht sich zu erinnern, aber der Kopf ist leer. Und vielleicht ist es auch am besten so. Sie kann ja doch nichts mehr daran ändern, das Leben ist, wie es ist.
    In Hallsberg geht alles so schnell, dass Eivor es gerade noch schafft, Erik zuzuwinken mit der Frage, wie es ihm geht.
    »Frag Elna«, ruft er als Antwort. »Auf Wiedersehen!«
    Und da sitzt sie jetzt, ihre Mutter. Genau gegenüber! Sie sieht aus wie immer. Aber dass sie immer noch in ihrem alten Sommermantel herumläuft, kann Eivor nicht verstehen. Sie haben doch wohl etwas Geld? Und sie hätte doch auch ein wenig Lippenstift auftragen können. Aber natürlich sagt sie nichts. Sie sitzt nur in ihrer Ecke und schaut zu, wie Staffan auf seiner Großmutter herumklettert.
    Großmutter! Herrgott, so ein Gedanke! Elna ist achtunddreißig Jahre alt und Großmutter. Und wenn es richtig böse ausgeht, so riskiert sie selbst, im gleichen Alter als Großmutter dazusitzen, wenn Staffan zufällig in jungen Jahren Vater wird. Der Gedanke ist entsetzlich. Wann soll dann Zeit sein zu leben?
    Aber was hätte das schon zu bedeuten?
    Vielleicht war es nur ein hoffnungsloser, vergeblicher Traum.
    »Ist alles in Ordnung?«
    Sie schreckt aus ihren Gedanken auf und sieht, dass Staffan eingeschlafen ist, wie ein plötzlich ermüdetes Kätzchen, das sich zusammengerollt hat. Er liegt auf der Bank, den Kopf auf Elnas Knien.
    Eivor hat nicht zugehört, darum wiederholt Elna ihre Frage.
    Na klar, alles ist, wie es sein soll. Mit beiden, Kind und Mann. Da gibt es nichts Neues. Alles wie immer.
    Dafür hat Elna Neuigkeiten zu berichten. »Wir werden von Hallsberg wegziehen«, sagt sie.
    »Warum das? Wohin?«
    »Erinnerst du dich an Vivi?«
    »Ja, natürlich.«
    Elna erzählt, und Eivor kann an ihrer Stimme hören, dass sie sich auf die große Veränderung freut. Sie werden nach Skåne ziehen, genauer gesagt nach Lomma. Lomma bei Malmö. Vivi ist mit dem Pressechef der Skandinaviska Eternitfabrik verheiratet, und dort hat Erik eine Arbeit bekommen, wo er bedeutend mehr verdienen wird als bisher bei der Bahn. Und ein Darlehen für ein eigenes Haus werden sie mit Hilfe des Unternehmens bekommen.
    »Wir ziehen schon im September um«, sagt sie.
    Eivor antwortet nicht gleich. Zuerst horcht sie in sich hinein, ob sie neidisch ist.
    Doch, ein bisschen neidisch ist sie schon. Alle, die eine Veränderung in ihrem Leben zustande bringen, etwas wagen, erregen ihren Neid. Es ist ein unbehagliches Gefühl, und sie schämt sich dafür, aber es ist eben da. Doch gleichzeitig freut sie sich natürlich. Elna leuchtet ja regelrecht, sieerzählt lebhaft wie ein kleines Kind, das allzu lange ein Geheimnis mit sich herumgetragen hat.
    »Und du?«, fragt Eivor zum Schluss.
    »Ich kann auch eine Arbeit bekommen, wenn ich will.«
    »Ich dachte, es wäre sicherer, einen Job bei der Bahn zu haben.«
    »Es sind andere Zeiten jetzt.«
    »Das kann sich auch wieder ändern.«
    »Findest du, dass es dafür Anzeichen gibt?«
    Darauf weiß sie keine Antwort. Arbeit scheint es zur Genüge zu geben. Warum sonst sollten all die Jugoslawen

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