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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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mitgeschleppt, die mit einem Mord und mit einer Vergewaltigung auf dem Rücksitz eines gestohlenen Autos endete. Und jetzt bricht er in ihr ersehntes Alleinsein ein und scheint zu glauben, dass sie seit den Herbsttagen 1956 nur darauf gewartet hat, mit ihm nach Madeira zu reisen … Er mag es so gut meinen, wie er will, aber es ist trotz allem eine Beleidigung, kann gar nichts anderes sein. Und das sagt sie ihm auch. Was bildet er sich eigentlich ein? Er kann seine Tickets nehmen und nachMadeira fahren, wenn er Lust hat. Sie will ihn nicht mehr sehen. Das war damals mehr als genug … So viel, dass es für den Rest des Lebens reicht …
    Er wirkt vollkommen unberührt von dem, was sie sagt, er scheint sich nicht im Mindesten darum zu kümmern, dass sie aufgebracht ist. Er sieht fast amüsiert aus, wie er da sitzt und mit den Fingerspitzen auf den Tisch trommelt. »Das ist so lange her«, sagt er nur. »Ich habe es abgesessen. Ich habe bezahlt …«
    »Aber nicht für das, was du mir angetan hast!«
    »Das ist so lange her. Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Aber ich tue es! Und woher kommt überhaupt das Geld?«
    »Sicherlich bin ich ein Dieb«, antwortet er. »Aber diese Reise hat damit nichts zu tun …«
    »Wie kann ich da sicher sein?«
    »Glaubst du wirklich, ich würde eine Bank ausrauben, um dich nach Madeira einladen zu können?«
    Einen kurzen Moment lang wirkt er beinahe verunsichert. Mein Gott, denkt Eivor. Dies ist die perfekte Verrücktheit. Er meint das tatsächlich … Was ist er eigentlich für ein Mensch?
    »Ich hole dich mit dem Taxi um Viertel vor sechs morgen früh ab«, sagt er, und der verunsicherte Ausdruck ist weg, jetzt ist wieder alles, was er sagt, selbstverständlich.
    »Hör jetzt auf«, sagt sie. »Du kannst eine Tasse Kaffee trinken. Aber dann musst du gehen. Und nimm diese Flugtickets weg.«
    Aber er schüttelt nur den Kopf, und die Fahrkarten bleiben liegen. »Ich werde jetzt gehen«, sagt er. »Du hast genug Zeit zum Packen. Und ruf in Borås an. Ich komme morgen früh. Vergiss bloß den Pass nicht. Aber du musst dich nicht ums Geld kümmern. Das habe ich.«
    Er zieht seine Brieftasche heraus und legt drei Tausenderscheine neben die Tickets. »Und nimm einen warmen Pullover mit.«
    »Einen warmen Pullover?«
    »Das steht in dem Prospekt. Es kann kalt werden an den Abenden. Aber sonst ist es schön. Es gibt viele Blumen auf dieser Insel.«
    »Nimm das Geld und geh jetzt«, sagt sie.
    »Viertel vor sechs«, sagt er. »Wir müssen spätestens eine Stunde vor Abflug in Torslanda sein. Das ist Vorschrift.«
    Dann geht er, und auf dem Tisch liegen Flugtickets und drei Tausenderscheine, Kofferaufkleber und Versicherungsscheine.
    Was dann geschieht, wird Eivor immer als »Die große Packnacht« in Erinnerung behalten. Wie sie ihren alten Koffer aus dem Schrank hervorzieht und ihn mit Kleidern füllt, um ihn im nächsten Augenblick umzudrehen und auf dem Bett auszuleeren und wieder in den Schrank zu werfen. Es ist nicht so, dass sie irgendwie zweifelt. Natürlich wird sie nicht mit Lasse Nyman nach Madeira reisen. Aber gleichzeitig kann sie es nicht lassen, sich die Insel vorzustellen, von der sie nicht mehr weiß, als dass sie irgendwo im Atlantik liegt und entweder zu Spanien oder zu Portugal gehört. Sandstrände oder vielleicht Klippen? Ein Balkon, der zum Meer und zum Himmel hinausgeht, gleißende Morgensonne und später ein gewaltiger Feuerball, der sich über den Horizont senkt und Schatten und eine kühle Abendbrise hervorruft, sodass man den warmen Pullover braucht, den man vorsorglich in seinen Koffer gepackt hat … Träumereien, romantische Zusammenschnitte von Bildern aus Reisekatalogen und Fernsehfilmen. Dummheiten, für die sie sich zu schade sein sollte. In Schweden ist es Winter mit schmutzigem Schnee und eisigem Nordwind.
    Aber die Tickets liegen da, und wie sie auch daran herumrätselt, es bleibt verdammt klar, dass er es ernst gemeint hat. Um Viertel vor sechs wird er an ihrer Tür schellen und sagen, dass das Taxi wartet.
    Verrückt, denkt sie. Genau das. Dazustehen und zu fühlen, wie es an einem zerrt. Ein Moment des Lebens, in dem man der eigenen Urteilskraft nicht mehr trauen kann, sondern einer dunklen Kraft preisgegeben ist, die einen zwingen will zu hoffen. Offensichtlich hat Lasse Nyman so eine Kraft, sonst hätte sie ihn gar nicht bis zu dem Punkt sprechen lassen … Vielleicht ist es so, dass er das weiß? Dass er seine Anziehungskraft kennt? Vielleicht vertraut

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