Daisy Sisters
er darauf, dass das Gefühl, das sie vor sechzehn Jahren, ohne zu zögern, nachts durch Hallsberg laufen ließ, um ihn zu treffen und ihm zu folgen, noch ungebrochen ist?
Aber das ist ja Wahnsinn, denkt sie. Er meint es sicher nicht böse. Im Gegenteil, vielleicht ist das seine Art, seine Schuld bei mir zu bezahlen, seine Art, um Entschuldigung zu bitten? Er verfolgt damit bestimmt keine Absichten ( auf der Reisebestätigung, die er auf dem Tisch liegen gelassen hat, kann sie lesen, dass er zwei Zimmer im Hotel Constellation bestellt hat …), er wird sie in Ruhe lassen, wenn sie es verlangt. Er will sicher nur freundlich sein und Gesellschaft haben. Ich weiß ja nichts darüber, wie er lebt, bis auf das, was er vor einem Monat erzählt hat, in der Nacht, als er auf dem Sofa saß, und das schien ja ein eher dürftiges Leben zu sein. Einsam, verlassen. Aber trotzdem ist es natürlich eine Verrücktheit …
Ein Sägewerk in Värmland ist bis auf den Grund niedergebrannt.
Die Bomben fallen direkt in den Weihnachtsfrieden über Vietnam.
Der Papst segnet die Menschheit …
Sie schaut auf die Nachrichten im Fernsehen. Sie versucht, sich zu konzentrieren, aber das blaue Licht fällt über die Tickets, die auf dem Tisch liegen.
Niemals wird sie den Augenblick exakt benennen können, in dem sich das Ganze wendete und in die andere Richtung zu drehen begann. Aber irgendwann während der Nachrichten und dem blauen Licht war es.
Ob sie auf den verrückten Vorschlag hören sollte? Wenn sie es jetzt wagen würde, das Risiko einzugehen … Ist es nicht genau das, woran sie im Herbst gedacht hat? Dass sie ganz einfach anfangen muss, etwas für sich selbst zu tun?
Ohne dass sie eigentlich weiß, warum, vielleicht nur, um sich selbst zu prüfen, nimmt sie ihren Koffer aus dem Schrank, legt ihn aufs Bett, schlägt den Deckel auf und denkt, dass ja nichts Schlimmes dabei ist, wenn sie ihn mit Kleidern füllt und dann Jacob anruft und sagt, dass sie beschlossen hat, über Neujahr ins Ausland zu reisen …
Sie kann sich das Telefongespräch mit Jacob genau vorstellen, und da ist auch schon das Gewissen wieder da. Eine Mutter von zwei Kindern reist nicht so einfach nach Madeira, und schon gar nicht, ohne dass das lange im Voraus geplant ist. Für einen Mann wäre das kein Problem. Aber das ist eben der Unterschied. Eine Mutter von zwei Kindern flattert nicht so einfach los. Sie müsste alt genug sein, um das zu verstehen …
Und genau der letzte Gedanke macht sie so verdammt wütend, dass sie Unterwäsche und Kleidung aus den Kommodenschubladen und Schränken reißt. Und beide Badeanzüge. In einem eigenartig erregten Zustand packt sie den Koffer, und erst als sie da steht und auf das Resultat sieht, erkennt sie, dass sie begonnen hat zu wanken.
Und so geht es weiter, es wird neun Uhr, und sie hat zum zweiten Mal die Kleider auf dem Bett ausgeleert und denKoffer in den Schrank geworfen. Sie hat am Tisch gesessen und ein brennendes Streichholz unter die Fahrkarte gehalten, die ihren Namen trägt, gesehen, wie sich ein dunkler Fleck darauf bildete.
Sie sieht ein, dass sie fahren will. Nicht mit Lasse Nyman, aber seine Gesellschaft muss sie in Kauf nehmen für die Möglichkeit, überhaupt wegzukommen. Was sie so wütend macht, ist, dass sie es nicht fertigbringt, die Gedanken, die miteinander in einem heftigen Streit liegen, zu trennen. Warum ist sie immer so durcheinander? Warum fällt es ihr immer so schwer, sich zu entscheiden?
Schließlich reißt sie den Telefonhörer an sich und ruft Jacob an. Als er antwortet, hat sie keine Ahnung, was sie sagen soll.
»Schlafen die Kinder?«, fragt sie.
Er klingt verwundert, als er antwortet.
»Klar tun sie das. Was dachtest du denn? Es ist doch schon nach zehn!«
»Ich hab mich nur gefragt …«
»Warum rufst du an?«
Seine Stimme klingt streng, als müsste er ein schwieriges Kind ermahnen, stillzusitzen und zu essen. Und das versteht sie gut. Nur eine verwirrte Frau, die nicht einen einzigen Nachmittag ohne ihre Kinder zurechtkommt, ruft so spät am Abend an, ohne etwas zu sagen zu haben.
»Ich fahre morgen weg«, sagt sie.
»Wohin?«
»Nach Madeira.«
»Noch einmal …«
»Du hast doch gehört, was ich gesagt habe. Madeira.«
»Du, Eivor …«
»Ja?«
»Die Kinder schlafen. Und ich hatte mich praktisch auchschon hingelegt. Wir wollen morgen früh raus in den Schnee. Gibt es etwas Besonderes?«
»Ich fahre morgen früh um sieben. Ich wohne im Hotel Constellation . Wir …
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