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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Göteborg vorbeikommen. Vielleicht könnten sie sich dort für ein paar Stunden treffen und Weihnachtsgrüße und Geschenke austauschen …
    Am Vormittag des Heiligabends fährt Eivor mit Staffan und Linda, mit Koffern und Paketen zum Zentralbahnhof. Als sie am Tag zuvor den Gepäckberg wachsen sah, hat sie sich beinahe in Panik auf das Telefon gestürzt, und es ist ihr sogar gelungen, ein Taxi vorzubestellen. Auf dem Bahnhof herrscht ein gewaltiges Chaos, sie kämpft sich zwanzig Minuten zur Gepäckaufbewahrung durch und denkt schaudernd daran, wie lange es dauern wird, wenn sie die Koffer wieder abholen und zum Zug nach Borås schleppen muss. Sie nimmt ein Kind an jede Hand und hält nach ein paar freien Plätzen in der Bahnhofs-Cafeteria Ausschau.
    Der Zug aus Malmö hat über eine halbe Stunde Verspätung, und als Eivor endlich ihre Mutter, ihren Stiefvater Erik und ihren Halbbruder Jonas, der so alt ist wie Linda, entdeckt, haben sie nur noch eine knappe Stunde zusammen.
    Aber jetzt sind sie jedenfalls hier und trinken Kaffee und Limonade. Jedes Mal, wenn Eivor ihre Mutter zusammen mit Jonas sieht, ist sie verblüfft. Obwohl der Junge zehn Jahre alt ist, fällt es ihr immer noch schwer zu begreifen, dass er ihr Bruder ist. Er gleicht Erik und hat nicht Elnas und Eivors dunkle Haut und Haarfarbe, die sie von Großvater Rune geerbt haben.
    Jetzt zu Weihnachten ist es drei Jahre her, dass er starb. Nach seinem Tod waren Elna und ihre Familie Weihnachtenzu Eivors Großmutter Dagmar gefahren. Eivor hätte eigentlich mitfahren wollen, aber dann wären Linnea und Artur enttäuscht gewesen. Sie musste sich damit begnügen, einen Weihnachtsbrief zu schreiben und durch Elna Geld für Blumen zu schicken. Aber es tut ihr immer noch weh, wenn sie daran denkt, dass sie nicht an Großvater Runes Totenbett war. Mit ihm hatte sie eine heimliche Übereinkunft seit damals, als sie und Elna Sandviken besuchten und sie beide schwanger waren …
    Die Zeit ist knapp, und das Gespräch hüpft von einem Thema zum andern. Eivor hat sich darauf gefreut, zu erzählen, dass sie anfangen wird zu lernen, aber jetzt bringt sie nicht mehr heraus, als dass sie den Job gewechselt hat.
    Elna schaut sie verwundert, beinahe beunruhigt an. »Systembolag?«, sagt sie. »Warum um alles in der Welt musst du im Spirituosenladen arbeiten?«
    »Das wird besser bezahlt und liegt außerdem in Frölunda«, antwortet Eivor, und innerlich flucht sie, dass keine Zeit bleibt, den wahren Grund zu erklären. Sie erinnert sich, wie es vor zehn Jahren war, als Elna sagte, dass sie und Erik nach Lomma ziehen würden. Sie erinnert sich, wie neidisch sie war, und würde gern jetzt erzählen, dass auch sie auf dem Weg ist, ihr Leben zu verändern. Aber das ist unmöglich. Erik hetzt schon fort, um die Abfahrtzeiten zu kontrollieren, alter Eisenbahner, der er ist, und Linda wagt nicht, allein zur Toilette zu gehen, wegen der vielen Leute … Jonas ist natürlich fasziniert von seiner Halbschwester, die zwei eigene Kinder hat, so alt wie er selbst. Das ist eine Gleichung, die er nicht lösen kann. Er sitzt da und sieht Eivor mit großen Augen an, und sie hat große Lust, ihm zu sagen, dass sie das selbst sehr sonderbar findet …
    »Wie ist es in Lomma?«, fragt Eivor.
    »Gut«, antwortet Elna.
    »Erik sieht müde aus, finde ich.«
    »Wirklich?«
    »Wie ist das eigentlich in der Eternitfabrik? Man liest eine Menge über … Wie heißt es gleich …«
    »Asbest.«
    Es ist Jonas, der antwortet. Er sieht sie ernst an und spricht das Wort vollkommen richtig aus.
    »Es wird viel geredet«, sagt Elna.
    »Und du selbst?«
    »Ich denke daran, nächstes Jahr auch dort anzufangen. Zum Frühjahr. Endlich.«
    »Als was?«
    »Ich werde wohl zunächst dort putzen.«
    »Kann Vivi dir nicht zu etwas Besserem verhelfen?«
    »Ihr Mann vielleicht. Aber … Ich glaube nicht, dass es ihnen im Moment so gut geht …«
    Was nicht so gut läuft zwischen Vivi und ihrem Mann, dem Pressechef, erfährt Eivor nicht, denn im selben Augenblick kommt Erik zurück, und sie haben es eilig, die letzten Weihnachtswünsche auszutauschen, ehe es Zeit wird für Eivor, mit den Kindern zum Zug nach Borås zu gehen. Erik hilft ihr, die Koffer abzuholen. Sie wundert sich darüber, dass er außer Atem gerät, als er die Koffer den kurzen Weg trägt, und auf dem Bahnsteig fängt er so an zu husten, dass ihm Tränen in die Augen treten. Aber es bleibt keine Zeit, darüber zu reden, der Zug fährt an, und sie winken

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