Daisy Sisters
in ihrer Kettenaufhängung bewegen, wenn sie einen der Hebel zu sich zieht. Sie denkt, dass ihr Käfig wie die Manövriernase eines Flugzeugs ist, und welcher Pilot hätte Zeit, an etwas anderes als an seine Instrumente zu denken!
In der Pause erfährt sie auch nichts, da jetzt alle von der Bedrohung erfahren haben und keiner darüber zu sprechen wagt.
Darum dauert es noch ein paar Tage, ehe Eivor zu ahnen beginnt, dass eine Unruhe sich im Werk ausgebreitet hat, aber sie hat weiterhin genug damit zu tun, ihren Arbeitskollegen keinen unnötigen Grund für spitze Bemerkungen zu geben. Auch den kleinsten Fehler schlägt man ihr, sobald Pause ist, um die Ohren, und der Tenor ist deutlich genug: unbeholfene Weiber … Die Lundmark hatten sie schließlich gezähmt, als Dank dafür geht sie hin und wird schwanger.
Es ist während der großen Pause an jenem ersten Montag, ungefähr in der Mitte der Schicht, als Eivor allen Mut zusammennimmt und fragt, ob all diese Poster an den Wänden tatsächlich nötig sind. (Selbst Liisa kommt oft darauf zurück; dass Eivor das schon am ersten Tag wagte, das sei vielleicht ihre imponierendste Tat.) Kompaktes Schweigen schlägt ihr entgegen. Ihre Worte kommen so unerwartet, dass selbst Lazarus mit einem Ruck aufwacht. Eivor zeigt auf eine Negerin, die mit schwellenden Formen und gespreizten Beinen direkt vor ihrer Nase hängt, und sagt, sie fände es nicht besonders lustig, so etwas beim Kaffeetrinken ansehen zu müssen. Sie erhält keine richtige Antwort, nur einen Chor von Stöhnen, Brummeln, Schmatzen, und eine geladene Feindseligkeitkommt zurück. Da begeht sie den Fehler zu glauben, dass ihre Worte trotz allem angekommen sind und dass das Schweigen ein Ausdruck von Scham, vielleicht sogar Nachdenken ist.
Aber als sie am Tag darauf, einem Dienstagmorgen, wieder den Essensraum betritt, sieht sie ein, wie falsch sie gelegen hat. Da sind die Wände mit Bildern vom Boden bis zur Decke verziert. Jemand hat sogar ein Bild von einem Riesenpimmel auf den Sitz ihres Stuhls geklebt. Die neuen Bilder sind noch ordinärer, und das schlimmste von allen (ein fetter Mann auf einem Bett, dem zwei sehr junge dunkelhäutige Mädchen zu Willen sind) hängt an der Wand, auf die sie den Blick richten muss, wenn sie nicht an die Decke starren will. Einer hat offensichtlich auch ein altes Foto von ihr entdeckt, »Eivor, 19, aus Strömsnäsbruk. Interessen: Burschen und Kleider«, das sich über die Mittelseiten einer Zeitung erstreckt. Sie zuckt zurück, als sie über die Schwelle kommt, und merkt, wie sie rot wird. Als sie den Pimmel auf dem Stuhlsitz sieht, ist ihr klar, dass die Männer die Oberhand bekommen haben. Das hier schafft sie nicht. Nicht alleine. Aber obwohl sie am liebsten davonrennen würde, ist da etwas, was sie zurückhält. Was ihr sagt, dass sie, wenn sie nicht bleibt, die Schlacht viel zu früh verloren gibt. Sie setzt sich, ohne sich etwas anmerken zu lassen, und das ist natürlich auch eine Form der Niederlage. Aber was soll sie sagen? Als sie aufsieht, begegnen ihre Augen einer Anzahl grinsender, vergnügter Gesichter. Möglicherweise mit Ausnahme von Göran Svedberg und vielleicht auch Albin Henriksson, deren Lächeln angestrengt wirkt. Als die Pause beinahe um ist, kommt es zur Konfrontation. Es ist Makadam, der fragt, ob sie gut sitze, und sie wird so wütend, dass sie ihn errötend anschreit, er solle sie in Ruhe lassen.
»Aber man braucht doch etwas Schönes, auf dem manseinen Blick ruhen lassen kann«, antwortet Makadam mit offensichtlicher Anspielung darauf, dass Eivor kein Ersatz für die Bilder ist.
»Verdammte Schweine«, schreit Eivor und rast hinaus.
Im weiteren Tagesverlauf kommen keine neuen Kommentare. Aber Eivor ist ungeschickt und unsicher oben im Kran, ununterbrochen sieht sie die Männer dort am Boden die Köpfe schütteln und hört einen Chor von schwarzen Engeln, der in ihre Ohren stöhnt. Mehrere Male treten ihr Tränen in die Augen, und sie flucht und schimpft in ihrer Einsamkeit da oben im Korb. Als der Tag vorüber ist und sie endlich das Werk verlassen kann, tut sie es mit dem Gedanken, nie mehr wiederzukommen. Nicht, solange sie es mit solchen Typen zu tun hat … Nicht, solange es verhärmte Menschen im Altersheim gibt, die dankbar nach ihren Händen greifen.
Am Abend geht sie hinüber zur Ecke Smidesgatan und Mästargatan, wo Liisa wohnt. Aber es ist nur ihr Sohn Arvo zu Hause, und er weiß nicht, wo Liisa ist. Ausgegangen, aber er weiß nicht,
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