Daisy Sisters
Unzulänglichkeit.
Die Schuhe. Die hochhackigen Schuhe. Die sie sich vor einigen Jahren gekauft hat, es war ein Freitag und Zahltag, und sie hatte plötzlich eine gewaltige Geilheit verspürt, als sie vom Systembolaget nach Hause ging. In ihrer Wut darüber, dass sie es nicht vermochte, die Lust nach einem Kerl zu verdrängen, ging sie in ein Schuhgeschäft und kaufte das raffinierteste Paar, das sie in den Regalen entdecken konnte. Wie oft hatte sie es angezogen? Viel zu selten, denkt sie in einer Mischung aus Missmut und Wut.
Sie versucht, ruhig und sachlich zu denken. Es ist mit aller Wahrscheinlichkeit nichts Unnatürliches, was er sich da ausgesucht hat, die Lust verlangt nach immer neuen Entdeckungen, um befriedigt zu werden. Sexualität ist auch Schmerz und Plage, niemand sagt, dass man sie nur so und nicht anders ausüben kann. Also ist auch nichts Unnatürliches dabei, wenn ihr Sohn herauszufinden versucht, wie es ist, die hochhackigen Schuhe seiner Mutter zu tragen …
Sie denkt, dass sie genau darüber gern mit ihren männlichenArbeitskollegen reden würde. So sollte es an einem Arbeitsplatz sein, doch obwohl erst eine Woche vergangen ist, ahnt sie die Konturen der Gespräche, die die Essens- und Kaffeepausen füllen. Es dreht sich einzig und allein um Anspielungen auf die Fotze. Ging es ums Trabrennen, von dem alle begeistert zu sein schienen, so war da immer ein Jockey, beim letzten Rennen der wie eine Fotze fuhr. Liverpool spielte Fußball wie eine Bande Weiber, das verdammte Auto sollte einen Tritt bekommen in …, wenn es nicht bald eine Lohnerhöhung gibt, hat man ja noch nicht mal genug Geld, um so eine armselige Finnin in den Arsch zu ficken. Und an den Wänden die aufgeklebten Bilder, ständig variierend, aber immer gleich. Die Kommentare sind abgedroschen und freudlos, aber anscheinend notwendig: die hat eine Riesenfotze, und die da hat eine Brust, die man, hol mich der Teufel, ein paarmal um den Schwanz wickeln kann.
Eivor starrt auf das Fernsehbild und fragt sich plötzlich, wie sie es mit diesem ganzen erniedrigenden Geschwätz aushalten soll. Und außerdem hat sie das Gefühl, dass sie absichtlich so quatschen, weil sie in der Nähe ist. Dass Frauen, die sich mit viel Mühe einen Platz im geheiligten Gebiet der Männer erkämpft haben, sich damit abfinden müssen, dass es trotz allem eine männliche Welt bleibt.
Eivor merkt, dass sie wütend geworden ist. Zwar hat Liisa sie darauf vorbereitet, dass es kein Jungfrauenkäfig ist, in den sie da kommt, aber so … Sie geht zum Fernseher und wechselt den Kanal: Ein Mann steht vor einer Hafenkulisse und singt. Sie dreht den Ton hoch. Oper! Rutscht mir doch den Buckel runter … Sie kehrt zu der Stille zurück und beschließt, die Schweinereien nicht länger zu tolerieren. Nie, zur Hölle, wird sie das tun!
Aber Staffan … Sie denkt alles von Neuem durch, fühlt, wie die Wut verschwindet und einer beinahe wehmütigenRührung Platz macht. Sie würde ihn ja so gerne in den Arm nehmen, all den tausend Gefühlen lauschen, die er in sich trägt. Aber wo soll sie beginnen?
Sie erwacht davon, dass das Fernsehbild flimmert: Das Programm ist zu Ende, es ist spät. Sie schaltet ab und wirft noch einen Blick auf Elin. Weder Linda noch Staffan sind zu Hause, und sie erinnert sich, dass Linda dieses Wochenende bei einer Freundin schlafen wollte. Ob sie das auch tut, denkt sie. Warum nicht bei einem Freund? Was weiß ich? Nichts! Sie setzt sich an den Küchentisch und holt ihr Kassenbuch hervor, das sie vor einigen Monaten ohne größere Hoffnungen zu führen begonnen hat. Aber was nützt es, wenn das Geld doch nie reicht? Sie versucht sich vorzustellen, wie es wäre, nie über Geld nachdenken zu müssen.
Obwohl es spät in der Nacht ist, lässt sie Wasser in die Wanne laufen und taucht hinein. Sie schaut auf ihren Körper und denkt, dass sie ihn nicht gegen einen von denen tauschen würde, die sie auf den Bildern im Stahlwerk gesehen hat. Wenn Eivor später in ihrem Leben zurückschaut auf ihre Anfänge im Stahlwerk, als sie sich in einem nahezu permanenten Kriegszustand befand, denkt sie, dass der Gewinn all das Leiden wert war. Der Gewinn, die Erfahrungen , das Gefühl, die Grenze überschritten zu haben, mit der sie vorher ihre eigenen Fähigkeiten beschränkt hatte (man muss seine Grenzen kennen!), ohne eigentlich darüber nachzudenken, ob das wirklich richtig war. Aber gleichzeitig erschauderte sie bei der Erinnerung daran, wie nah sie ein paar mal
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