Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Griff frei blieb und ich gut zupacken konnte. Das Büchlein legte ich auf den etwas dickeren Bettvorleger und dann schlug ich auf das Schloss ein. Zweimal traf ich das Schloss nicht, aber der dritte und vierte Schlag war gut platziert und beim fünften Schlag hörte ich ein Knirschen. Das Schloss sah verbogen aus. Mit ein wenig Kraftanstrengung konnte ich nun das Schloss öffnen. Ich schlug das Büchlein wahllos in der Mitte auf und sah sofort, dass es die Schrift meiner Mutter war, die die Seiten des Büchleins zierte. Schnell schloss ich das geheime Buch und sammelte meine Gerätschaften ein. Ich ließ meinen Blick schweifen, um zu schauen, ob irgendetwas anders aussah als vor meinem Erscheinen. Nein, ich hatte keine Spuren hinterlassen. Schnell ging ich zurück in mein Zimmer und legte dort als erstes meinen Schal wieder an die Stelle, wo ich ihn entwendet hatte. Das Büchlein stopfte ich erst einmal unter die Matratze meines Bettes. Nun musste ich noch den Hammer verschwinden lassen. In meinem Zimmer konnte ich ihn schlecht verstecken. Also schlich ich mich noch einmal auf Umwegen zum Dienstbotentrakt. Ich hatte Glück, es war immer noch niemand zu sehen. An einer Wand im Flur stand ein großer Schrank, in dem Bettwäsche und Handtücher für die Dienstboten aufbewahrt wurden. Ich öffnete den Schrank, in einem Fach stand ein Korb, in dem verschiedene Utensilien aufbewahrt wurden. Wunderbar, hier würde der Hammer nicht großartig auffallen. Ich nahm ein paar Gegenstände heraus, legte den Hammer in den Korb und verbarg ihn dann unter den anderen Sachen. Niemand würde auf die Idee kommen, dass ich den Hammer hierhin gelegt hatte. Warum auch? Ich machte mich schnell auf den Rückweg in mein Schlafzimmer und gerade, als ich den Dienstbotentrakt verlassen hatte, hörte ich die Stimmen von zwei unserer Stubenmädchen hinter mir. Aber ich war schon nicht mehr zu sehen. Still blieb ich stehen, bis ich hörte, dass sich eine Zimmertür geschlossen hatte und die Stimmen der Mädchen nur noch dumpf zu vernehmen waren. „Glück gehabt“, dachte ich bei mir und ging schnell den Rest des Weges zu meinem Zimmer zurück. Ich schloss meine Zimmertür hinter mir und schaute auf die goldene Uhr, die einen kleinen Schrank zierte. Fast zwei Stunden hatte mich dieses Vorhaben gekostet. Es war Nachmittag, mein Vater war außer Haus, meine Mutter war beschäftigt, Sonja und einige andere Dienstboten hatten frei, Tee hatte ich mir nicht bestellt, also hatte ich Zeit, ein wenig in dem Büchlein zu lesen. Ich hob die Bettmatratze an und holte es hervor und ging damit in mein Schulzimmer. Zur Tarnung legte ich ein wenig Papier aus und legte Schreibzeug parat. So sah es aus, als wenn ich einen Brief schreiben würde. Wem sollte ich schon einen Brief schreiben, aber da sich hier im Haus keiner für mich wirklich interessierte, würde wohl auch kaum jemand auf die Idee kommen, mich zu fragen, wem ich schreibe. Ich setzte mich hin und schlug das Büchlein auf, gespannt darauf, was es mir enthüllen würde. Am Anfang ging es um Alltäglichkeiten, um Verabredungen mit ihren Freundinnen, darum, welches Kleid sie bei welchem Schneider anfertigen ließ, wer alles zur nächsten Gesellschaft kommen sollte und wer nicht. Die Aufzeichnungen meiner Mutter waren nie mit einem Datum versehen. Allerdings konnte man anhand des Anlasses erkennen, wann ungefähr Mutter ihre Eintragungen vorgenommen hatte. Ich hatte ungefähr ein Drittel des Büchleins durch, als ich mich fragte, was wohl noch folgen würde, was das Büchlein so wichtig erscheinen ließ, dass man es an einem geheimen Ort verstecken musste. Ich hatte diese Gedanken gerade zu Ende gedacht, als ich auf eine Seite gelangte, wo Annabelle, die beste Freundin meiner Mutter, dieser gestand, dass sie ein Verhältnis mit dem jungen Hauslehrer habe, der für ihre beiden Söhne eingestellt worden war. Fast täglich trafen sie sich heimlich in seinem Zimmer, das er bei ihnen bewohnte.
Meine Mutter schrieb : „Schon lange habe ich Annabelle nicht mehr so glücklich gesehen. Wie wunderbar muss es sein, von einem Mann in den Armen gehalten zu werden, den man liebt und von dem man geliebt wird. Ich wünsche ihr dieses Glück von ganzem Herzen und doch bin ich neidisch. Wie gerne würde ich in den Armen meines Mannes liegen, aber er liebt mich nicht. Er hat mich nie geliebt. Die wenigen Male, die wir zusammenlagen, waren Pflichtübungen. Wie grausam habe ich es gefunden, als Matthias es mir damals ins
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