Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
aufgedunsenen Körper auf den zarten Körper meiner Mutter klatschte. Vor lauter Ekel bekam ich ganz feuchte Hände. Nicht, dass ich mit meiner Mutter Mitleid gehabt hätte. Sie hatte es sich so ausgesucht, sie hätte ein anderes Leben führen können. Wenn sie wenigstens nur eine Affäre gehabt hätte, aber das, nein, so ein Leben war mehr als unwürdig.
Ja, was eine Affäre war, das wusste ich. Hatte ich doch oft genug beim Dienstpersonal gelauscht. Ich hatte nie Einblicke in die große weite Welt bekommen, hatte keine rlei Erfahrungen, aber ich hatte Augen und Ohren und ich war nicht dumm. So saß ich nun da in meinem Schulzimmer. Allein mit meinen Gedanken, mit meinem Ekel und dem Tagebuch einer Frau, die sich meine Mutter nannte. Nach kurzem Überlegen erhob ich mich von meinem Platz und lauschte in den Flur hinaus. Ich ging schnell hinab in Richtung Haustür, um abermals zu lauschen. Der Besuch meiner Mutter war immer noch da. Näher zur Küche hin hörte ich das Geklapper von Geschirr und Töpfen. Es musste bald Zeit für das Abendessen sein. So entschied ich mich, kurz unsere Köchin aufzusuchen und sie zu bitten, mir in meinem kleinen Salon ein Stück kalten Braten mit etwas Brot bereitzustellen. Sie schaute mich verdutzt an, da ich ansonsten durchaus in der Lage war, große Portionen ohne Schwierigkeiten zu vertilgen, aber sie sagte nichts. Mir war der Appetit für den Moment gründlich vergangen, aber vielleicht ein kleiner Happen zu späterer Stunde. So ging ich zurück in mein Schulzimmer, um zu überlegen, was jetzt zu tun wäre.
Wieso war mein Vater i m Besitz von Mutters Tagebuch? Hatte er es gefunden? Nein, das glaubte ich nicht. So ein Tagebuch ließ man nicht einfach so rumliegen. Es sei denn, jemand wollte, dass es gefunden wird. Die Wahrheit diesbezüglich würde sich wohl für immer vor mir versteckt halten. Hier in meinen Räumen mochte ich das Büchlein, das so viel Schmutz enthielt, nicht aufbewahren. Am liebsten hätte ich es verbrannt, wagte es aber nicht wegen des Geruchs, der sich dann ausbreiten würde. Wie hätte ich das erklären sollen? Wohin also? Zurück in sein Versteck? Zurück zu meinem Vater? Nein, das wollte ich nicht. Meine innere Stimme sagte mir, dass mein Vater unrechtmäßig in den Besitz dieser Seiten gekommen war und etwas mit meiner Mutter im Schilde führte. Fragt mich an dieser Stelle nicht, woher diese Gedanken kamen, ich weiß es nicht. Vielleicht sann er auf Rache dafür, dass meine Mutter seinen Stand in der Gesellschaft gefährdet hatte und weiterhin gefährdete dadurch, dass sie ihn lächerlich machte. Erst die Väter, dann die Söhne. Abermals musste ich mich schütteln. Es waren die Zeilen meiner Mutter und so war sie allein die rechtmäßige Besitzerin dieses Büchleins. Sie allein war die Besitzerin ihres armseligen Lebens. So war es schon genug, dass andere Menschen nun Bescheid wussten. Mir kam der Gedanke, dass sie ihr Büchlein doch vermissen müsste. Oder hatte sie es ihrem Mann untergeschoben? Geöffnet hatte ja ich es. Somit hatte es vorher sonst wohl noch niemand gelesen.
Die Eintragungen endeten im Juni des vergangenen Jahres. Waren diese Zeilen schon so lange im Besitz meines Vaters? Gut versteckt in der Kommode in seinem Herrenzimmer? Wartete er auf den richtigen Augenblick, es zu öffnen um dann zum Gegenschlag auszuholen? Ich weiß bis heute nicht, was mich bewog, meiner Mutter ihr Eigentum zurückzugeben. Wo ich doch nicht einmal wusste, ob sie es so wollte. Es war mir egal. Ich wollte auch nicht Mitwisserin ihres verdorbenen Lebens sein und doch waren mir ihre Zeilen in den Schoß gefallen. Aus irgendeinem Grund hatte es mich dorthin zu dieser Kommode gezogen. Eine innere Stimme hatte mich geleitet. Nun war ich Mitwisserin. Ob ich wollte oder nicht. Und so entschied ich, dass meine Mutter, meine so kaltherzige und verdorbene Mutter, nun erfahren sollte, dass ich es wusste. Dass ich wusste, was für ein Leben sie führte. Doch wie sollte ich das anfangen? Sollte ich es ihr gnadenlos übergeben, damit sie die Verachtung in meinen Augen sehen konnte? Nein, so viel Mut hatte ich nicht. In der Nähe meiner Eltern wurde ich noch ruhiger, als ich sowieso schon war. Niemals würde ich es schaffen, meine Mutter mit dem alles aussagenden Büchlein in meiner Hand anzusprechen. Das war völlig ausgeschlossen. Aber sie sollte es wissen. Wenigstens innerlich sollte sie sich schämen. Falls so etwas wie Schamgefühl in ihr überhaupt noch existierte.
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