Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
dafür hatten wir schließlich genug Dienstboten. Gesellschaften hatte ich auch nicht vorzubereiten. Für wen auch? In der Theorie beherrschte ich alles, angefangen vom Zusammenstellen einer Gästeliste bis hin zur Auswahl der Musik und des Weins. Aber in der realen Welt hatte mich nie jemand an die Hand genommen. Vielleicht würde ich mich auch einfach wieder in den Sessel kuscheln und davon träumen, wie ich meine ersten Gesellschaften in meinem neuen Heim mit Bravour meisterte. Dies war seit meiner Verlobung meine Lieblingsbeschäftigung geworden. Vielleicht würde auch noch jemand an mich mit einer Aufgabe herantreten. Vielleicht kam auch noch jemand von einem Schneideratelier für meine neue Garderobe und gar mit meinem Hochzeitskleid. An mein gestriges Abenteuer dachte ich gar nicht mehr. Wo sich meine Eltern aufhielten, wusste ich nicht. Eigentlich wusste ich das in den seltensten Fällen. Auch nach meiner Verlobung wurde ich nicht in das gesellschaftliche Leben mit einbezogen. Aber darüber dachte ich weiter kaum nach. Es war so für mich in Ordnung. Ich kannte es ja nicht anders. Nachdem ich mein Frühstück beendet hatte, machte ich mich zurück auf den Weg in meine Zimmer. Auf der Treppe begegnete ich unerwartet meiner Mutter. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich sie gar nicht bemerkt hatte. Wir blieben beide stehen und schauten uns an. Für einen Moment beschlich mich die Angst ob meiner Kühnheit, dass ich ihr das Büchlein zurückgegeben hatte. Aber die Angst siegte nicht. Dafür war ich zu sehr enttäuscht von ihr. Wenn ich heute so darüber nachdenke, was nicht oft der Fall ist, mag es wohl sein, dass ich sie verachtete. Nicht ob ihrer Gefühlskälte mir gegenüber. Das war ja nie anders gewesen. Ihre Zeilen hatten sich so tief bei mir eingegraben, dass ich es kaum ertragen konnte, die gleiche Luft wie sie zu atmen. Sie schaute mir regungslos in die Augen und muss wohl meinen verachtenden Blick wahrgenommen haben. Und ich sah das Wissen in ihren Augen. Sie hatte ihr Büchlein gefunden. Ob sie in der vergangenen Nacht auch bereits meine Frage gelesen hatte, vermag ich bis heute nicht zu sagen. Aber in meinen Augen las sie, dass ich Bescheid wusste. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, sah mich mit Eiseskälte in den Augen an und sagte zu mir: „Was weißt Du denn schon!“ Es war keine Frage, nein, es war eine Feststellung. Sie drehte sich von mir weg und ging gemessenen Schrittes die Treppe hinunter, wo gerade ihre Zofe auftauchte, um ihr Hut und Mantel zu reichen. Wie geplant ging ich in meine Zimmer.
Die letzten Wochen vergingen in gewohnter Weise, abgesehen davon, dass noch mehr als sonst geputzt und gewienert wurde. Mein Unterricht neigte sich dem Ende zu und ich verabschiedete mich artig von meinen Lehrmeistern und wünschte ihnen für ihr weiteres Leben alles Gute.
Einzig Herr Brahmann nahm meine Hände in die seinen und drückte sie sanft an seine Brust. Er wünschte mir von ganzem Herzen all das, was ich in diesem Haus immer habe missen müssen. Er wünschte mir die Liebe, die ich hier nie kennengelernt hatte und die Freude am Leben, die noch auf mich wartete. Ich war ihm so dankbar. Dieser Abschied fand natürlich in meinem alten Schulzimmer statt, so dass niemand seine ehrlichen und mein Herz erwärmenden Worte vernehmen konnte. Dann verschwand er aus meinem Leben. Der einzige Mensch, dem ein wenig daran lag, wie es mir erging.
Es wurde letzte Hand an meine neue Garderobe gelegt und mein Hochzeitskleid wurde geliefert. Es war schlicht , aber raffiniert geschnitten und stellenweise mit echter Brüsseler Spitze überzogen. Es war eine Kreation der namhaften Pariser Modeschöpferin Madame Goujou, die hier durch flinke Hände einer Gehilfin der Madame zur Vollendung gelangte. Es wurde wirklich an nichts gespart.
Noch mehr Lieferanten als sonst gaben sich in diesem Haus die Klinke in die Hand.
Und ich? Ja, ich freute mich darauf, ein neues Leben zu beginnen. Dass ich die Gästeliste nicht kannte, war mir egal. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass man etwas mit mir besprach. Wen hätte ich auch einladen sollen? Ich kannte ja niemanden. So war es von meinen Eltern gewünscht. Warum, das habe ich nie erfahren.
Und dann war es endlich soweit. Es war der dreiundzwanzigste Juni des Jahres achtzehnhundertsechzig. Der Tag meiner Vermählung. Es war ein sonniger und warmer Tag. So konnte die Hochzeit wie auch das anschließende Fest im prunkvoll geschmückten Park
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