Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Männer besessen? Mir schwirrte der Kopf. Warum nur hatte ich dieses Büchlein gefunden? Warum nur hatte ich angefangen es zu lesen? Dass ich eine so kaltherzige Frau als Mutter hatte, war schon nicht einfach für mich gewesen, aber auf diese Geschichten hätte ich gut und gerne verzichten können. Trotzdem las ich weiter. Nun war es auch egal. Nun wollte ich wissen, wie es weiterging, oder besser gesagt, mit wem es weiterging. Mir fiel auf, dass meine Mutter nur anfänglich etwas ausführlicher geschrieben hatte, später dann folgten nur noch kurze Sätze oder Stichpunkte. Ich las aber auch davon, wie viel Liebe meine Mutter bei ihren Eltern erfahren hatte. Wieso hatten meine Großeltern nicht ein Stückchen Liebe für mich aufbewahrt? Wo war diese Liebe geblieben? Es folgten weitere Stichpunkte, denen ich entnehmen konnte, entnehmen musste, dass meine Großeltern mütterlicherseits mit der Wahl des Ehemannes durch meine Mutter ganz und gar nicht einverstanden gewesen waren. Wieso hatte dann mein Vater meine Mutter auserwählt? Ich erinnerte mich nur vage daran, dass, wenn beide Großelternpaare in unserem Haus weilten, die Stimmung auch zwischen ihnen sehr unterkühlt war. Auch durch die Dienstboten hatte ich nie etwas erfahren, darüber gab es nie eine Tuschelei. Viel Streit hatte es gegeben. So viel Streit, dass die Liebe zwischen Eltern und Kind zerbrach. Die Folgen waren so grausam. Meine Mutter hatte nie mehr die Liebe erfahren. Sie hatte sich selbst denunziert. Ihr war es egal. Ich hatte überhaupt nie Liebe erfahren und ich war unschuldig.
„ Aber eigentlich“, so dachte ich bei mir, „ist es völlig egal. Ich kenne es doch nicht anders. Aber ich werde es anders kennenlernen.“ Mit diesem Gedanken tröstete ich mich, und ich las weiter in den Aufzeichnungen meiner Mutter. Von ihren Schwiegereltern schrieb sie nur kurz, dass Paul, ihr Schwiegervater, fast sein gesamtes Hab und Gut verspielt hatte und immer wieder bei seinem Sohn vorstellig wurde, damit dieser seine Spielschulden beglich und das ansonsten sorgenfreie Leben seiner Eltern finanzierte. Nun konnte ich den freudigen Ausbruch meines Großvaters am Tage meiner Verlobung verstehen. Ja, natürlich, es floss wieder Geld. Auch wenn ich nie Liebe und Herzenswärme kennengelernt hatte, so war ich dennoch enttäuscht von meiner Familie. War denn niemand unter ihnen, der ein ehrliches und mit Liebe erfülltes Leben führte? Dann aber kam ich an eine sehr interessante Stelle in dem Buch meiner Mutter. Es ging um Marie. Meine Mutter musste geweint haben, als sie diese Zeilen schrieb, denn die Schrift war verwischt. „Wie konnte er nur? Reicht es ihm nicht mehr, die Gattinnen seiner Freunde und Geschäftspartner zu beglücken? Ist es nicht mehr genug, in den Freudenhäusern seine Gelüste auszuleben? Holt er es sich jetzt schon mit Gewalt? Mein Gott, welch eine Schande!“
Meine Mutter hatte nichts davon geschrieben, wo oder wie sie es erfahren hatte. Aber sie wusste auch von mehr als nur einer Zahlung, die ihr Mann sozusagen als Entschädigung für den nicht mehr auszumerzenden Makel bei Marie geleistet hatte. Und diese Zahlungen in immenser Höhe hätten meinen Vater und damit unsere Familie fast in den Ruin getrieben. Jetzt folgten nur noch Eintragungen über das Eintreffen der Kastell-Paols hier in diesem Haus, um die baldige Vermählung von Jacques und mir zu besiegeln. Es war ein Geschäft. Ein Geschäft, um meines Vaters Kasse wieder flüssig werden zu lassen und ein Geschäft für meinen zukünftigen Schwiegervater, seine Unternehmungen auszuweiten. Natürlich mit Gewinn. Jacques war eine Ware. Ich ebenso.
„ Vielleicht“, so dachte ich bei mir, „können wir gemeinsam etwas Gutes daraus erwachsen lassen.“ In diesem Moment nahm ich es mir fest vor. Ich wollte nicht so ein Leben wie meine Mutter. Keinesfalls. Um keinen Preis.
Das Letzte, was ich dem Büchlein entnehmen konnte, war, dass meine Mutter es in der Nacht meiner Verlobung mit dem Vater meines zukünftigen Gatten get rieben hatte. In irgendeinem der Gästezimmer. Egal, davon hatten wir ja genug. Ich war so angewidert. Die Blicke dieses Mannes in Richtung meiner Mutter. Ja, ich konnte mich noch gut daran erinnern. Mein Schwiegervater in spe war so unappetitlich wie ein glitschiger, sich windender dicker Aal und ich konnte und wollte es mir nicht vorstellen, doch ich konnte nichts dagegen tun, konnte die Gedanken nicht abwehren, die da auf mich einströmten. Wie dieser Mann mit dem
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