Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
meines Vaters bediente. Sollten sie ruhig. Es fiel bei all den Festlichkeiten sowieso nicht auf. Leise und ungesehen wollte ich zurück in meinen Salon, als ich Geräusche im Flur vernahm. Langsam schlich ich mich durch den Gang, der von der Küche abging, um in die Empfangshalle zu gelangen. Am Ende des Ganges blieb ich stehen, Weinflasche und Glas eng an mich gepresst, und schaute vorsichtig vom Licht der Kerzen abgewandt, die die Halle erhellten, um die Ecke. Meine Mutter wollte wohl gerade die Treppe hinaufgehen, als mein Vater nach Hause kam. Gegenseitig starrten sie sich an, ohne ein einziges Wort zu sagen. Mein Vater hatte noch nicht einmal seinen Hut und seinen Mantel abgelegt. Ich konnte im Gesicht meines Vaters keine Gefühlsregung erkennen. Er sah meine Mutter an, als wäre sie eine Fremde. Das Gesicht meiner Mutter konnte ich nicht sehen, da sie seitlich auf der Treppe stand und mir somit den Rücken zuwandte. Sie war es, die sich als Erste bewegte und sich von meinem Vater abwandte, um die Treppe weiter hinaufzusteigen. In diesem Moment nahm ich wahr, wie sich ihr Gesichtsausdruck und ihre ganze Körperhaltung veränderten. Ihre Schultern waren nun eingesackt, nichts war im Moment mehr geblieben von ihrer stolzen und aufrechten Haltung. Sah ich von meinem Versteck aus richtig oder war es das Lichtspiel des Kerzenscheins, das mir einen Streich spielte? Es sah wirklich so aus, als ob meine Mutter lautlos weinte. In diesem Moment sah sie alt aus, sah sie so müde und verbraucht aus und für einen Augenblick flog ihr mein Mitgefühl entgegen, als sie die Treppenstufen weiter hinaufeilte. Aber dieses Gefühl verflog auch wieder schnell, denn die geschriebenen Zeilen in ihrem Büchlein hatte ich lange noch nicht verarbeitet. Sie hatte sich dieses Leben, so wie es war, selbst zugeschneidert. Meine Mutter verschwand aus meinem Blickfeld und ich suchte mit den Augen erneut meinen Vater, der mit seinem Verhalten in meinen Augen auch nicht besser war als meine Mutter. Doch jetzt sah ich eine Regung in seinem Gesicht. Ein hämisches Grinsen war darauf zu erkennen, und ich dachte so bei mir, was für ein eitler Pfau dieser Mann doch darstellte. Er legte nun Hut und Mantel ab, legte die Sachen achtlos auf einen Sessel und steuerte ebenfalls auf die Treppe zu. Ich nahm den Duft billigen Parfums wahr, der ihn umwehte. Diesen Duft konnte er nicht ablegen wie einen Hut. Ich wartete, bis er oben war und ich eine Zimmertür sich öffnen und dann schließen hörte. So schnell es mir auf leisen Sohlen möglich war, verließ ich mein Versteck und lief die Treppe hinauf, zurück in meinen Salon, wo ich mich ganz erschlagen in einen gemütlichen Sessel kuschelte und mir den mitgebrachten Wein schmecken ließ. Den hatte ich mir wahrlich verdient. Morgen würde ich die Spuren meines einsamen kleinen Gelages verschwinden lassen. Aber damit kannte ich mich aus. Es war schließlich nicht das erste Mal. Wenn Sonja ihren freien Nachmittag hatte, richtete ich mich selbst für die Nacht her, was mir eigentlich auch sehr gut gefiel, aber unter normalen Umständen in unserem Haus nicht möglich war.
In dieser N acht schlief ich unerwartet gut und ich schlief recht lange. So war am nächsten Morgen im Speisezimmer bereits das Frühstücksbuffet abgeräumt und ich begab mich in die Küche zu unserer Köchin, um mir dort am Küchentisch ein Frühstück servieren zu lassen. Es war eine der wenigen Freiheiten, die ich mir seit jüngster Kindheit leisten durfte. Meinen Eltern wäre es wohl nie in den Sinn gekommen, zusammen mit ihrem Personal zu frühstücken. Es war ein Samstag und ich hatte nichts vor. Unterricht, um mir den letzten Schliff zu geben, hatte ich nur an den gewöhnlichen Wochentagen. Draußen regnete es und so fiel natürlich ein Spaziergang im Park aus. Ich entschloss mich, gewohnheitsmäßig ein wenig meine Zimmer in Ordnung zu bringen. Danach würde ich in die Bibliothek gehen und mir ein Buch heraussuchen. Vielleicht gab es dort ja ein Buch über die Bretagne, meine neue Heimat. Was sollte ich sonst auch schon tun? Freundinnen, die ich besuchen konnte oder die mich besuchten, hatte ich nicht. Es war seitens meiner Eltern nicht gewünscht. Mir eine Kutsche kommen zu lassen, um in der Stadt ein Café aufzusuchen, kam gar nicht in Frage. So etwas hatte ich noch nie getan. Und schon gar nicht alleine. Ich hatte keine Termine. Was für Termine sollte ich auch schon haben? Im Haus selbst hatte ich keine Aufgaben zu verrichten,
Weitere Kostenlose Bücher