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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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meinte Candace: »Du riechst wie eine Hausbar.«
    »Ich habe geduscht«, erwiderte ich.
    »Es ist, als würde es dir aus allen Poren kommen. Der ganze Raum stinkt schon danach.«
    Ich blickte mich um. Ein paar andere Studenten sahen zu mir hin. Ich wandte mich wieder ihr zu und zuckte die Schultern. »Na und? Ich habe gestern Abend eben einfach zu viel getrunken.«
    »Warum trinkst du an irgendeinem x-beliebigen Dienstag?«
    »Sean und ich …«
    »Sean«, sagte sie, als brauche sie keine weitere Erklärung. Während des restlichen Kurses sprach sie kein Wort mehr mit mir.
***
    Spät an jenem Abend rief mich mein Vater zum ersten Mal seit Monaten an.
    »Wie geht es dir?«, fragte er mit angespannter, ernster Stimme.
    »Mir geht es gut«, antwortete ich vorsichtig. »Und dir?«
    »Wie kommst du mit dem ganzen Druck an der Uni zurecht?«
    Sein Tonfall beunruhigte mich. »Mir geht’s gut«, wiederholte ich. »Warum?«
    »Chuck hat mich gerade angerufen. Er hat mir erzählt, dass du an diesem Morgen im Kurs betrunken
    warst.« Chuck war der Freund meines Vaters, der geholfen hatte, meine Zulassung zur Wharton zu
    beschleunigen.
    »Ich war nicht betrunken.«
    »Warum sollte Chuck mir das dann erzählen?«
    »Du lässt deinen Freund hinter mir her spionieren?«
    »Natürlich nicht. Er hat es von deinem Professor gehört.«
    »Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht betrunken war.«
    »Er meint, der ganze Unterrichtsraum habe nach Schnaps gerochen.«
    »Schon möglich«, sagte ich. »Aber ich war nicht betrunken. Ich hatte nur am Abend zuvor eine Menge getrunken.«
    »Was ist los, Luke?«
    »Nichts ist los. Ich habe bloß zu viel getrunken. Es ist ja nicht so, als würdest du nichts trinken.«
    »Ich gehe aber nicht mit einer Schnapsfahne in eine Vorstandssitzung. Wie oft trinkst du?«
    »Was soll das Verhör?«, schnauzte ich ihn an. »Ich bin alt genug, um meine eigenen Entscheidungen zu fällen, ohne dass du mich kontrollierst.«
    Meine Reaktion schien ihn zu verblüffen. Er schwieg einen Moment lang und sagte dann: »Du hast recht. Du liegst mir nur am Herzen.«
    Ich atmete tief durch. »Es tut mir leid«, lenkte ich ein, »aber es geht mir bestens.« Es folgte ein weiteres Schweigen. Schließlich sagte ich: »Ich muss jetzt gehen.«
    »Ich liebe dich, Luke.«
    »Schon gut«, erwiderte ich und legte auf.
    Unsere Beziehung hatte sich stärker verändert, als es mir bewusst war. Oder vielleicht hatte auch ich mich stärker verändert, als es mir bewusst war. So hatte ich nie zuvor mit meinem Vater gesprochen. Ich legte mein Handy hin und vergrub den Kopf in den Händen.
    Sean hatte mein Gespräch zufällig mitgekriegt und kam mit einer Dose Bier in der Hand ins Zimmer. »Wer war das?«
    »Mein Vater. Jemand von der Wharton hat ihn angerufen und ihm erzählt, dass ich heute Morgen im Kurs betrunken war.«
    »Du warst nicht betrunken. Du warst ein wenig verkatert, aber nicht betrunken.«
    »Ich habe meinen Vater angeschrien.«
    Sean grinste. »Willkommen in meiner Welt.«
    Mir gefiel nicht, wie das klang. »Meine Welt ist das nicht.«
    »So was passiert«, meinte er.
    »Mir nicht«, entgegnete ich. »Hast du überhaupt irgendeinen Kontakt zu deinen Eltern?«
    »Zu meiner Mutter. Sie zahlt meine Rechnungen. Mein Vater hat sich von mir losgesagt.«
    »Was ist passiert?«
    »Die übliche Geschichte. Er war nie da, während ich aufwuchs, und wenn er da war, haben wir miteinander gestritten. Vor ein paar Jahren hatten wir an Heiligabend im Beisein von vielleicht fünfzig Gästen von ihm eine heftige Auseinandersetzung. Ich nannte ihn einen Finanz-Geier. Darauf hat er mir erklärt, was für eine Enttäuschung ich für ihn als Sohn sei.
    Ich sagte: ›Glaubst du vielleicht, dein Sohn zu sein ist keine Enttäuschung?‹ Darauf er: ›Schön, wie du meinst. Ab sofort will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.‹«
    Ich konnte mir beim besten Willen nichts Schlimmeres vorstellen. »Was hast du darauf gesagt?«
    Er sah mich finster an. »Ich habe ihm gedankt.«
    »Du hast ihm gedankt?«
    »Es war mir ernst damit. Es war befreiend. Ich hatte es satt, dass er mein Leben organisierte und mir vorschrieb, was ich zu tun und wie ich zu sein hatte. Ich hatte es einfach satt, dass an sein Geld immer Bedingungen geknüpft waren. Ich hatte dem Teufel meine Seele nicht verkauft, ich hatte sie vermietet.«
    »Wie hat deine Mutter reagiert?«
    »Meine Mutter war seine erste Vorzeigefrau. Inzwischen war er hinter der zweiten Vorzeigefrau her,

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