Damals im Dezember
daher ist sie ihm genauso wenig grün wie ich.« Er trank einen Schluck von seinem Bier. »Was ist mit dir? Hat Daddy für dich auch schon alles geregelt? Hat er den Masterplan?«
»Mein Vater zwingt mich nicht dazu, irgendetwas zu tun«, widersprach ich.
»Aber er hat dich dicht am Unternehmen gehalten, nicht wahr? Dich zum Nachfolger herangezogen? Zu seinem Ebenbild.«
Ich antwortete nicht.
»Das hab ich mir gedacht«, sagte Sean. »Ich sage nicht, dass er wie mein Vater ist. Ich sage nur, dass es ein Naturgesetz ist – Väter ziehen sich ihre Söhne nach ihrem Bilde. Es ist ein jüdisch-christlicher Archetypus. Man sieht ihn in der Kathedrale ebenso wie auf dem Baseballfeld der Little League. Du siehst es täglich an der Wharton.« Er schlug mir auf die Schulter. »Wenn du hier fertig bist, ist das dann die nächste Nummer? Dass du nach Hause gehst, um dich um den Familienladen zu kümmern?«
»Das ist es, was mein Vater will.« Ich kam mir vor wie ein Kind.
»Und was willst du? «
Langsam schüttelte ich den Kopf. »Ich bin mir nicht mehr sicher.«
Sean beugte sich dicht zu mir vor. »Das ist brandgefährlich, mein Freund. Die Unentschlossenen werden von der Schwungkraft der Entschlossenen fortgerissen. Ich sehe es schon vor mir: Du machst deinen Abschluss an der Wharton und kehrst dann in die Wüste zurück, lässt dich mit einem Frauchen nieder, legst im Garten hinter dem Friedhof Beete an und schaust zu, wie du auf dem häuslichen Todesmarsch fett und arthritisch wirst.«
»So läuft es also?«, fragte ich, über seinen Zynismus verärgert.
»Soweit ich es sehen kann. Die Menschen leben heutzutage nicht wirklich länger, sie sterben nur langsamer. Wir haben den amerikanischen Traum gegen eine Kreditkarte für den örtlichen Baumarkt eingetauscht. Was für ein Schwachsinn.«
»Was hast du denn nach deinem Abschluss vor?«
»Ich habe vor«, antwortete er, »mich mit Marshall und Lucy in sieben Ländern zu betrinken.«
»Warum sieben?«
»Das ist meine Glückszahl. Bis dahin werde ich wohl all den Dreck ausgekotzt haben, den sie mir in den letzten achtzehn Jahren kapitalistischer Indoktrination in den Rachen gestopft haben. Danach betrinke ich mich dann nur noch aus reiner Verkommenheit.« Er sah mich an. »Du solltest uns begleiten. Du hast noch eine Menge Zeit, um den langsamen Tod zu sterben.«
»Du bist trostlos heute Abend.«
»Komm mit uns.«
»Ich hab Candace.«
»Nimm sie mit. Zeig ihr das Leben, bevor sie Kreaturen gebiert, die sie mehr liebt als dich, und du zum Lastesel degradiert wirst.«
»Du bist mehr als trostlos.«
»Du weißt, dass ich die Wahrheit sage. Gib dem Leben eine Chance.«
»Du klingst wie eine Dauerwerbung für die Internationalen Hedonisten«, entgegnete ich. »Lasst uns essen, trinken und fröhlich sein, denn morgen könnten wir sterben.«
»Es gibt kein ›könnten‹ dabei. Morgen werden wir sterben.« Er zeigte mit der Hand, in der er die Bierdose hielt, auf mich. »Die einzige wirkliche Sünde, die es in diesem Leben gibt, besteht darin, Möglichkeiten zu vergeuden. Unsere restlichen Sünden sind nur Teil des Lernprozesses. Gott, wenn es ihn denn geben sollte, hat seine Freude an unserer Leidenschaft. Es ist das Lauwarme, das er ausspeit. Du kannst es in der Bibel nachlesen.« Sean beugte sich dicht zu mir vor. »Ich kenne dich, Luke. Du bist etwas Besonderes. Marshall und Lucy mögen wie Freidenker reden, aber sie sind es nicht. Am Ende wird man sie mit den übrigen Konformisten an den Strand der Tatsachen gespült finden. Aber du, mein Freund, hast das Potenzial, mit der Zeit, die dir beschieden ist, etwas Spektakuläres anzustellen – den unterjochten, verzweifelten Massen ein Leuchtfeuer zu sein, ein Licht auf dem Hügel der Möglichkeit. Das bist du der Welt schuldig.«
Ich lachte über seine Schmeichelei. »Ich habe der Welt nichts zu bieten.«
Seans Gesichtsausdruck wurde ernst. »Lass dir das von niemandem je einreden. Verkauf deine Seele nicht den Teufeln der Unklarheit. Was ist mit deinen Träumen? Weißt du überhaupt noch, worin sie bestehen?«
Ich antwortete nicht, was vermutlich auch eine Antwort war.
»Die Welt gehört dir, Luke. Schau sie dir wenigstens an, bevor du sie abschreibst.«
Ich stand auf. »Ich geh schlafen«, sagte ich.
Sean starrte mich an. »Denk darüber nach, ob du nicht mitkommen willst. Denk einfach darüber nach.«
Elftes Kapitel
Als Spezies liegt uns weniger an der Wahrheit als an der Verwirklichung unserer
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