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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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links und sofort rechts«, antwortete ich und zielte genau mit der Murmel.
    Ein paar Meter von meiner Gasse entfernt ist eine Kreuzung. Links fängt die Judenstraße an. Die Juden lebten bis zu ihrer großen Auswanderung Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wie alle religiösen und ethnischen Minderheiten mit weniger Rechten als die arabisch-islamische Mehrheit, doch sie brauchten in den 44 Jahren des Krieges mit Israel keine Angst vor Verfolgung zu haben, und dies wohlgemerkt im Land der Verlierer.
    Wenn man an der Kreuzung aber nach rechts abbiegt, gelangt man in das Herzstück des christlichen Viertels, das sich bis zum nächsten Tor der Stadtmauer, Bab Tuma, und weiter außerhalb der Mauer in das Kassa’-Viertel erstreckt. Dort liegt auch die Bäckerei meines Vaters.
    Doch bevor ich mich in meinen Erinnerungen als Bäckerjunge verliere, kehren wir lieber zur Geraden Straße zurück, die nun an einem Triumphbogen und unzähligen Läden vorbei zum Gewürzmarkt führt. Immer mehr wichen die Handwerker den feinen Obst- und Gemüseläden, den Röstereien und Souvenirgeschäften. Sosehr sich die Geschäfte allerdings bemühen, orientalisch zu erscheinen, der Geraden Straße fehlt heute etwas Wesentliches, das in meiner Kindheit zum alltäglichen Straßenbild gehörte: die Ziegen.
    Es waren die rothaarigen Damaszener Edelziegen, derenMilch nach wilden Kräutern schmeckte. Morgens zogen die Milchverkäufer von Gasse zu Gasse. Wir standen bereits mit unseren Schüsseln an der Tür und warteten, und wenn der Bauer kam, pfiff er, die Ziegen hielten an und begannen den Kalk von den Mauern zu lecken. Der Bauer griff eine Ziege heraus, molk sie, siebte die Milch und maß sie in glänzenden Gefäßen und zog dann weiter bis zur nächsten Tür. Ich weiß es noch heute genau. Der Milchverkäufer kam immer kurz nach dem Maulbeerenverkäufer, der auf dem Rücken seines Esels ein großes, rundes Tablett mit einer herrlichen Pyramide aus den begehrten Maulbeeren mit sich führte, die wir als Kinder gerne zum Frühstück aßen. Der Maulbeerbaum hatte Damaskus Ruhm und Reichtum gebracht, nicht durch die Beere, sondern durch die Blätter, von denen sich die Raupen des Seidenspinners ernähren. Kurz nachdem die Ziegen auf Anordnung der Regierung aus den Straßen verschwunden waren, fällten die Bauern die Maulbeerbäume, weil die Chinesen den Orient mit billiger Seide überschwemmten. Aber das ist eine lange Geschichte, kehren wir lieber zur Geraden Straße zurück.
     
    Schön und manchmal komisch preisen die Straßenhändler ihre Ware an. Die Meister unter ihnen sind die Obst- und Gemüsehändler.
    »Jedem Biss folgt ein Schluckauf! Quitten!«
    »In euch nistet der Tau, ihr Feigen!«
    »Meine Tomaten schminkten sich ihre Wangen und gingen spazieren!«
    »Die Bienen werden blass vor Neid! Honigmelonen!«
    Doch heute ruft kein Salatverkäufer mehr: »Eldaijem Allah! Allah eldaijem!« (»Nur Gott ist der ewig Bleibende!«); so riefen sie zu meiner Kindheit, denn der Salat tauchte zu Anfangdes Sommers auf und verschwand mit ihm. Heute gibt es in Damaskus den im Treibhaus hochgejagten Salat zu jeder Zeit. Man kann sogar Trauben im Winter und Orangen im Sommer kaufen! Bevor die Ziegen aus den Straßen verschwanden, hatte alles noch seine Zeit, und die Damaszener aßen, tranken, heirateten, führten Krieg und schlossen Frieden immer in Harmonie mit der Zeit. Erst als die Ziegen verschwanden, wurden alle Jahreszeiten gleich und die Damaszener um viele Genüsse ärmer. Aber warum verschwanden die Ziegen aus den Straßen?
    Mein Nachbar Ismail, ein Stadtplaner, behauptet, dass dadurch das Gesicht von Damaskus moderner, städtischer geworden sei. Er irrt sich. Noch nie war Damaskus bäuerlicher als heute. Innerhalb der letzten 30 Jahre hat sich die Einwohnerzahl der Stadt auf 4 Millionen verfünffacht. Die Landflucht hat auch Damaskus nicht verschont. Das wirft große Probleme auf, die von keiner Regierung einfach zu lösen sind. Die Damaszener leiden wie die Bewohner aller Metropolen der Dritten Welt unter Wohn-, Wasser-, Umwelt-, Verkehrs-, Schul- und Arbeitsplatzproblemen. Nun aber prägen die innerhalb kürzester Zeit zugewanderten Bauern das Leben in Damaskus. In einer Umkehrung der Verstädterung der Dörfer, die in Europa dem letzten schlafenden Nest seinen dörflichen Charakter raubte, ist in Damaskus ein Verdorfungsprozess im Gange. In allen Bereichen kann man erkennen, wie diese Verdorfung verarmend auf die Lebenskultur

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