Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Damaskus nach einer Abwesenheit von 15 Jahren. Dort treffe ich einen alten Mann, der mir eine Geschichte in Fortsetzungen erzählt. Er ist ein verrückter Erzähler, aber das ist nicht so wichtig, wichtig ist, dass er in sieben Gestalten erscheint. Jeden Tag suche ich ihn, damit ich die Fortsetzung seiner Geschichte höre, doch er überrascht mich immer wieder mit seinen Erscheinungen. Meine Großmutter ist dagegen so, wie sie vor 15 Jahren war.
Am ersten Tag sitzt der alte Mann in einem arabischen Innenhof, wie es sie noch selten in Arabien gibt. Er raucht seine Wasserpfeife und schweigt lange, um mir das Behagen des Sitzens beizubringen.
Am zweiten Tag ist das blühende Haus in eine heruntergekommene Mietskaserne verwandelt, die immer noch die Spuren der Vergangenheit trägt. Die Leute halten mich für einen Dieb, und ich werde zur Polizeistation gebracht. Der gelangweilte Offizier hält mich für verrückt, weil ich in Damaskus nachts jemanden aufsuche, um Geschichten zu hören. Ersteckt mich in eine Zelle, doch raten Sie, wer da in der Ecke sitzt? Der alte Mann, der mitten auf der Straße einen Geheimdienstler ohrfeigte, weil dieser laut ein populäres Lied über die Freiheit gesungen hat. Er erzählt mir von seinen Kämpfen und Träumen. Er träumt oft von Salahaddin und von einem Nasser, den es nie gab. Ich habe Mitleid mit dem alten Mann und bewundere doch seine mutige Tat.
Am dritten Tag hilft mir ein junges Mädchen, den Weg zu ihm in der Wüste zu finden. Er sitzt nun in einem schäbigen beduinischen Zelt und verdient sein Geld durch Zigarettenschmuggel. Er erzählt aber von seinen früheren siegreichen Überfällen und von seinen Gästen: Antar ibn Schadad, al Zir Salem und von einem syrischen Kernphysikprofessor, der alle Angebote in den USA ausgeschlagen hat, um unter dem blauen Himmel seiner Heimat gelangweilt das Abc der Mechanik zu unterrichten. Der alte Mann nannte den Professor einen Trottel und schwärmte dann eine Stunde lang vom klaren Himmel seiner Steppe, die er nicht einmal gegen die Gärten des Andalus tauschen würde.
Am vierten Tag ist er ein Straßenkehrer, der mich in den Gang eines Hauses zieht, damit der Inspektor ihn nicht bei seiner Faulenzerei ertappt und er keine Schwierigkeiten mit dem Oberinspektor bekommt. Doch da kommt er mir mit seiner Geschichte über Ehre und Familie schon wie ein Pascha vor.
Am fünften Tag ist er ein Gewürzhändler, der mir die Beziehung zwischen Lüge und Würze durch eine Geschichte voller Weisheit und Poesie erklärt.
Am sechsten Tag ist er ein Bettler, der vor einer Moschee laut die Gläubigen um milde Gaben anfleht und dem Staatspräsidenten ein langes Leben wünscht. Als er mich sieht, bittet er mich, seinen günstigen Bettelplatz nahe dem Eingangfür ihn zu halten. Es ist mir peinlich, doch ich sitze und warte. Nach etwa einer Stunde kommt er fröhlich pfeifend zurück. Ich frage ihn, wo er war.
»Im Puff!«, antwortet er, dreht sich zu den Gläubigen und ruft mit einer wunderschönen Stimme, die einen Stein erweichen könnte: »Min Mal Allah Ja Muhssinin. Min Mal Allah ja Mu’minin!«
Am siebten Tag hält er den Termin nicht ein, obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich an jenem Tag abfliegen muss; doch am Flughafen überrascht er mich. Er ist ein Arbeiter im blauen Overall. Mit seinem grauen Schnurrbart entspricht er dem Traumbild eines Arbeiters, wie ihn sich die arabischen Kommunisten wünschten. Er erzählt mir die siebte und letzte Folge der Geschichte.
Sieben Veränderungen vollzog der Mann vor meinen Augen. Meine Oma aber schwärmte immer noch von den besonderen Trauben ihres Weinberges. Außer ihrer Schwerhörigkeit war an der Frau seit vierzig Jahren nichts verändert.
Damals habe ich Dan Diner gesagt, ich hoffe, ich könnte mit den sieben Figuren des alten Mannes dem arabischen Menschen etwas näher kommen. Ich möchte sein Bild zeichnen, wie er in seiner Gegenwart lebt und sich verändert. Dan Diner lachte viel über den alten Mann und sagte sinngemäß: »Der Alte verändert sich, weil er in der Gegenwart lebt, doch es wird ein Märchenroman.« Heute, zwei Jahre danach, nachdem ich Ihr Buch gelesen hatte, musste ich daran denken. Es handelt ja von der Beziehung der Araber und Juden zu ihrer Gegenwart. Eine durch unsere Mythen, Legenden und Lügen fast erdrückte Gegenwart. Der heutige Orientale hat eine ziemlich komplizierte Identität, lebt er dazu noch als Angehöriger einer Minderheit oder gar unter der/einer Besatzung, wird
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