Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
ertrage, die ich mir selber nie zugetraut hätte. Was mich aufrechterhält, ist der Gedanke, dass ich diese Schmerzen freiwillig erdulde und sie enden kann, sobald ich will. Sehen Sie, mit der Hand kann ich auf dem Tisch eine Dosis Opium erreichen, nach der ich nicht wieder aufwachen würde. Dass ich diese letzte Freiheit habe, gibt mir Mut und macht mich gewissermaßen heiter.
Ich bin vom Oberkörper an abwärts gelähmt und fast blind. Und in diesem toten Körper bin ich gefangen. Es ist hart, auf einer Matratze festgenagelt zu sein, wenn alle Welt aufden Beinen ist. Sterben ist kein Unglück. Glücklich sind die, welche schnell fertig werden, wie mein Vater sagte: Man dreht sich herum und schläft ein, und alles ist bezahlt. Aber kommen wir zu Ihren Fragen, sonst beschäftige ich Sie auch noch mit meiner Krankheit. Über die, wie Sie sehen, ich schon durch diese vielen Fachbücher besser als meine Ärzte informiert bin. Meine Studien werden mir wohl nicht viel helfen. (Lacht) Ich werde höchstens im Himmel Vorlesungen halten können, um meinen Zuhörern darzutun, wie schlecht die Ärzte auf Erden die Rückenmarkserweichung kurieren. Aber was wollten Sie mich fragen?
R. S.: Eigentlich eine einzige Frage, die mich mein Leben lang noch beschäftigen wird. Wie entsteht Literatur in der Fremde, im Exil? Die Antwort ist sehr kompliziert und vor allem individuell. Sie ist wie nichts anderes mit dem Schicksal des Fremden aufs engste verbunden, doch man kommt durch Teilfragen der Antwort näher. Sie sprechen gut Französisch, aber mit einem starken deutschen Akzent, genau wie mein Urgroßvater Chamisso, der exzellent Deutsch konnte, aber mit einem ausgeprägten französischen Akzent. Akzent ist für mich der Beweis, dass die Bindung an die Ursprungsheimat noch stark ist, sie meldet sich sogar physisch. Wie fühlen Sie sich nach all den Jahren des Exils?
H. H.: Danton sagt, man schleppt das Vaterland an den Schuhsohlen mit sich. Ich bin ein deutscher Dichter. Es wäre für mich ein entsetzlicher, wahnsinniger Gedanke, wenn ich mir sagen müsste, ich sei ein deutscher Poet und zugleich ein naturalisierter Franzose. – Ich käme mir selber vor wie eine jener Missgeburten mit zwei Köpfchen, die man in den Buden der Jahrmärkte zeigt…
R. S.: Aber das gilt nicht für mich und für Chamisso, denn wir beide schreiben aus vielen Gründen nicht in unserer Muttersprache, sondern in der Sprache des Gastlandes. Meine Bücher sind in zwanzig Sprachen erschienen, aber in Arabien sind sie bis heute verboten. Sie haben das Glück, direkt in Ihrer Heimat trotz Verbot zu veröffentlichen, was am Ende auch ein Glück für die deutsche Sprache ist.
H. H. (lacht): Ich könnte mir alsdann wohl etwas darauf einbilden, dass ich mich rühmen darf, in diesem Gebiete meine Lorbeeren errungen zu haben. – Wir wollen auch kein Blatt davon aufgeben, und der Steinmetz, der unsre letzte Schlafstätte mit einer Inschrift zu verzieren hat, soll keine Einrede zu gewärtigen haben, wenn er dort eingräbt die Worte: »Hier ruht ein deutscher Dichter.«
R. S.: Sie sind es; und was für ein göttlich boshafter Dichter, wie Nietzsche über Sie in Ecce homo schrieb. Aber ich denke, Ihre Heimat war die Sprache und nicht die Zahl der Breitengrade Deutschlands. So sind wir, Chamisso, Sie und ich, wiederum Landsleute. Und noch etwas ist uns allen gemeinsam. Sosehr wir auch mit unserem Geist dem Herzen der Gesellschaft nahe sind und darüber schreiben, so bleiben wir doch Außenseiter. Das Problem ist nicht, ob der Fremde in der Gastgesellschaft zurechtkommt oder nicht. Und wenn man von dem Ausländerproblem quasselt, meint man am allerwenigsten die Probleme, die ein Ausländer in einem Meer von Einheimischen hat, sondern man meint schlicht die Unruhe, die ein Fremder in die Gastgesellschaft einbringt. Um ein Beispiel zu bringen: Ein Fremder kann höflich, fleißig, ehrenhaft sein und noch viele andere Merkmale der moralischen Vorbilder der bürgerlichen Gesellschaft vorweisen, doch solange er darauf besteht, Fremder zu bleiben, zählt das alles nicht, und dieGesellschaft zieht ihm einen fremden Zuhälter vor, der sich bis zur Unkenntlichkeit eingedeutscht hat. Ich glaube, darin lag auch Ihr Problem, und es ist meines immer noch.
H. H.: Ja, das stimmt, ich werde auch in der Fremde, im Exil, meine Tage beschließen. Die wackeren Kämpen für Licht und Wahrheit, die mich der Wankelmütigkeit und des Knechtsinns beschuldigten, gehen unterdessen im Vaterland
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