Damenschneider
dementsprechend sicher auftrat, in ihrem ganzen Aussehen entsprach sie durchaus seinem Beuteschema. Doch zu einer unmittelbaren Kontaktaufnahme fehlte ihm letztlich der Mut. So strich er scheinbar ziellos um sie herum, ohne sie jedoch anzusprechen. Durch einen glücklichen Umstand sollte er sie dennoch kennen lernen. Denn es war ausgerechnet deren Cousine, die sich heftig zu Andreas hingezogen fühlte, was schließlich auch das Interesse ihrer urbanen Verwandten an dem schüchternen Jüngling weckte. Und wie das halt so ist mit jungen Leuten und ihren Liebesdingen, stellte sich Andreas bei der nun einsetzenden Unterhaltung reichlich ungeschickt an, sogar sein stets präsenter Charme wirkte seltsam aufgesetzt und mochte somit nicht zu verfangen. Hätte sich nicht ihre Cousine in einem solchen Maße um Andreas bemüht, wäre Jessica wohl ungeküsst nach Wien zurückgekehrt. Da sich jedoch auch in diesem Geschäft Konkurrenz als durchaus belebend erweist, wurde er im Endeffekt mit einem freundlichen Abschiedskuss und einer Telefonnummer belohnt, die zu wählen sich am nächsten Tag verbot, obwohl Jessica eine nicht unerhebliche Rolle in Andreas’ Gedankengängen spielte. Wobei man an dieser Stelle gerechterweise anmerken sollte, dass es nicht eine frühvollendete Klugheit war, die ihn von einem törichten Telefonat abhielt, sondern ein rotes Mercedes-Benz 190 SL-Cabriolet. Dieses musste nämlich bis zum Abend fertiggestellt sein, weil der Besitzer, ein ziemlich schnöseliger Banker aus Wien, es seiner Freundin anderntags zur Verlobung schenken wollte. Da der Kunde das Fahrzeug bereits am Morgen des folgenden Tages abholen wollte, musste Andreas das Schmuckstück bis in die späten Abendstunden hinein polieren, um danach todmüde in sein Bett zu fallen. Streng genommen war es also keine Taktik, sondern einfach nur Glück, dass er seine Jessica nicht bereits am nächsten Tag mit seinen Gefühlsergüssen überfuhr, was sicherlich kontraproduktive Folgen gehabt hätte. Diese, durch ihre urbane Herkunft schon um einiges abgebrühter als er, hatte nach ihrem spontanen Abschiedskuss eigentlich mit einem baldigen Anruf ihres unbeholfenen Verehrers gerechnet, und war nicht wenig überrascht, als dieser nun ausblieb. Am Tage darauf, nach der glücklichen Übergabe des Fahrzeugs, mit dem schon Rosemarie Nitribitt ihre Freier becirct hatte (ihr Mercedes allerdings war nicht rot, sondern schwarz gewesen), war ein plötzlicher Notfall eingetreten, als ein ungehaltener Kunde seinen Austin-Healey 3.000, den er vor nicht allzu langer Zeit einer Totalrestaurierung in eben dieser Werkstätte hatte unterziehen lassen, auf dem Transporter eines Pannendienstes einliefern ließ. In der darauf einsetzenden Hektik, der Kunde hatte immerhin den Preis eines Mittelklassewagens in die Reparatur investiert und war dementsprechend echauffiert, wurde die gesamte Belegschaft zusammengerufen, um sich gemeinsam auf die Suche nach der Quelle des Ärgernisses zu begeben. Endlich war ein Fehler in der Elektrik als Ursache für die Panne ermittelt worden, dessen Behebung sich jedoch als so kompliziert erwies, dass die Reparatur bis in den späteren Abend hinein dauerte. Zumal der erboste Besitzer die Mechaniker keinen Moment aus den Augen ließ und sich ständig in ihre Arbeit einmischte, was das Ganze letztlich doch erschwerte. Am Ende dieses turbulenten Tages lud der erleichterte Meister seine gesamte Belegschaft aufgrund ihres außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes in eine nahe gelegene Pizzeria ein. Und so wartete auch heute die arme Jessica vergebens auf den eigentlich schon lange fälligen Anruf und machte sich Gedanken, ob dieser eigentlich viel zu nette Junge, dem sie aus reiner Spielerei (und um ihre Cousine zu ärgern) einfach ihre Telefonnummer gegeben hatte, nicht doch nur ein raffiniert getarnter Fallott war.
Unter diesen Umständen zeigte sich die Friseuse sehr geneigt, als am dritten Tage nach ihrem ersten Treffen endlich der Anruf erfolgte und Andreas in vermeintlicher Beiläufigkeit nach der Möglichkeit eines erneuten Treffens fragte. Er »hätte nämlich am nächsten Freitag zufällig in Wien zu tun«, und da wollte er sie fragen, »ob sie vielleicht abends schon etwas vorhabe«. Was er genau zu tun hatte, das ließ er freilich im Dunkeln, und auch sie war klug genug, nicht näher danach zu fragen, denn in seiner Aufregung wäre er wohl die Antwort schuldig geblieben, war doch das Einzige, was er in Wahrheit zu tun hatte, das Treffen mit
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