Damenschneider
Jessica. Nun, sie hatte tatsächlich nichts vor, und so stand einem Rendezvous nichts mehr im Wege.
Das war vor etwa sechs Monaten gewesen, und aus den beiden war unterdessen ein richtig verliebtes Paar geworden, das unbeschwert von jeglicher Sorge seine junge Liebe genoss.
Bis zu jenem verhängnisvollen Augenblick eben, als ein, im Übrigen nur vor Liebe trunkener, Andreas auf der Heimfahrt mit seinem Motorrad in eine riesige Öllacke geriet und auf ihr ausrutschte.
Zwar hatte er bei diesem Unfall laut den Aussagen der Ärzte »unbeschreibliches Glück« gehabt, dass er ihn überhaupt überlebte, eine Verletzung jedoch wog so schwer, dass sein rechter Unterschenkel nicht mehr erhalten werden konnte und amputiert werden musste.
Was das für einen so jungen Mann bedeutete, kann man sich unschwer vorstellen, doch die Beziehung zu seiner Jessica war unterdessen so weit gediehen, dass sie ihn bei ihren täglichen Besuchen stets aufzumuntern versuchte, nicht ohne ihn beständig ihrer Liebe zu versichern.
Das vermochte ihn zwar vordergründig zu trösten, dennoch führte er sich ständig die bislang folgenreichsten Augenblicke seines Lebens vor Augen.
Und immer wieder stellte er sich dieselbe Frage: Warum hatte es ausgerechnet ihn erwischen müssen? Ihn, der gerade seine Gesellenprüfung als Automechaniker so glanzvoll bestanden hatte, dass sein Meister ihm in Aussicht gestellt hatte, Andreas könne einst als sein Nachfolger die Leitung des Betriebes übernehmen. Natürlich hatte ihm Herr Müllner bei seinem Krankenbesuch versichert, dass sich nichts an seinen Plänen geändert habe, zumal der medizinische Fortschritt gerade bezüglich der Prothetik in den letzten Jahren doch enorme Fortschritte gemacht hätte.
Dennoch war Andreas alles andere als glücklich, immer wieder quälte ihn die folgenreiche Kausalitätskette jenes unglückseligen Morgens.
Hätte er dem Drängen seiner Jessica nachgegeben und wäre bei ihr geblieben, würde er noch immer auf zwei Beinen durchs Leben gehen. Doch das Pflichtbewusstsein, das ihm seine Eltern, denen er Mitarbeit bei der Ernte versprochen hatte, mit konsequenter Strenge anerzogen hatten, hatte über die Versuchung obsiegt, mit dem Ergebnis, dass er schon seit über einer Woche im Sankt-Johann-Unfallspital lag.
Seine verständliche Niedergeschlagenheit blieb auch den ihn behandelnden Ärzten nicht verborgen, und so baten sie einen Krankenpfleger, der auch in anderen schwierigen Fällen schon wahre Wunder vollbracht hatte, sich des unglücklichen Jungen im Besonderen anzunehmen.
Nachdem sich Vogel bei seinem Kollegen Binder davon überzeugt hatte, dass es sich bei dem abgelichteten Unfall um eben jenen handelte, der die Polizei vor so ein großes Rätsel stellte, erkundigte er sich bei ihm über die Identität des Opfers sowie über dessen derzeitigen Aufenthaltsort. Vorsichtig fragte Binder seinen Kollegen, ob er nicht den Fall übernehmen wolle, da er ja gerade in einem ähnlichen ermittle, mit dem Ergebnis, dass Vogel schon bald zusammen mit seinem Kollegen Walz ins Sankt-Johann-Unfallkrankenhaus in den 11. Wiener Gemeindebezirk fuhr.
Kaum standen sie jedoch vor der Türe des Krankenzimmers von Andreas Reif, vernahmen unsere Inspektoren zu ihrem Erstaunen eine lautstark geführte und immer wieder von fröhlichem Lachen unterbrochene Unterhaltung.
Als sie nach einem schwungvollen Klopfen eingetreten waren, bot sich den beiden ein seltsames Bild: Eine an etlichen Stellen verbundene Gestalt schüttelte sich vor Lachen, während ein neben dem Bett stehender Krankenpfleger ihn triumphierend anlächelte. Offenbar hatte er ihm gerade einen sehr guten, und wahrscheinlich gar nicht jugendfreien, Witz erzählt.
Erst als sich Vogel mit einem lauten Räuspern ins Bewusstsein der heiteren Runde brachte, wandten die beiden sich den Besuchern zu.
Nachdem sie sich kurz vorgestellt hatten, ergriff der ältere Inspektor das Wort:
»Ja, Herr Reif, es tut uns aufrichtig leid, was da mit Ihnen passiert ist. Da wir jetzt mit der Untersuchung Ihres Falles befasst sind, hätten wir einige Fragen an Sie … Ich weiß, dass Sie schon alles meinen Kollegen gesagt haben, aber trotzdem müssen wir Sie noch einmal quälen, um uns selbst ein Bild von der Sache zu machen«, beeilte sich Vogel hinzuzufügen, nachdem der Patient mit einer ausgesprochen unfreundlichen Miene auf seine ersten Worte reagiert hatte.
»Ich gehe dann wohl besser«, sagte der Krankenpfleger und wandte sich der Türe
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