Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
schlechten Schulnoten nach Hause kam. Man darf Kindern keine Visionen nehmen, schon gar nicht, wenn man sie selber kaum aufbringt.
Sendungen wie »Popstars« werden zu Unrecht von vielen Erwachsenen belächelt. Die jungen Männer und Frauen, die dort mitmachen, werden alle von großartigen Fantasien angetrieben, denen durchaus ein visionärer Zug innewohnt. Denn gerade in »Popstars« wird diesen jungen Menschen gezeigt, dass eigene Visionen von Größe, Berühmtheit usw. willkommen sind - wenn die Bereitschaft zum Arbeiten daran vorhanden ist. Dasselbe lässt sich in Abstrichen auch über »Germany’s Next Topmodel« und Stefan Raabs Talentsuche sagen. Allerdings wird die Heidi Klum-Sendung mit jeder Staffel fragwürdiger. Heidi Klum gefällt sich in der Rolle der Zuchtmeisterin, die wie ein Automat ein strahlendes Lächeln oder einen harten, kalten Blick anknipst und quotenträchtig einsetzt. Sie und die anderen Juroren arbeiten immer mehr mit Entwertungen und vermitteln den jungen Mädchen, dass knallharte Leistung, die jede zwischenmenschliche Beziehung ausklammert, gottgleich über allen anderen menschlichen Werten thront. »Deutschland sucht den Superstar« (DSDS) zähle ich ebenfalls zu den fragwürdigen
Sendungen für unsere Jugendlichen, weil auch da einer der Juroren mit massiver Entwertung und Beschämung operiert. Eine gefährliche Sache bei Jugendlichen!
Wenn Jugendliche gebeten werden, sich das Erwachsenendasein vorzustellen, bekommt man zu hören: »Stress.«- »Da musst du jeden Tag aufstehen und deinen Job machen, ob du willst oder nicht.« - »Zoff - deswegen will ich ja keine Kinder.« - »Da wird’s ernst.« - »Ein gut bezahlter Job, aber es gibt ja keine Stellen mehr.« - »Musst halt durch...« Kinder schauen sich die Eltern an und ziehen Schlüsse daraus. Die Haltung, dass man da »halt durch muss« durch das Erwachsenenleben, scheint deprimierend. Ein ganzes Erwachsenenleben einfach durchhalten?
Das wird sofort anders, wenn Eltern für sich selber noch etwas visionäre Kraft behalten konnten. Dieser Restposten Vision strahlt auf die Kinder aus. Eine 43-jährige Mutter träumt »seit einer Ewigkeit« davon, nochmals in Italien leben zu können. Vielleicht tue sie es später noch, vielleicht auch nicht. Hauptsache, sie habe ihren Traum behalten. Die 15-jährige Tochter überrascht die Eltern damit, dass sie Italienisch als dritte Fremdsprache in der Schule wählen wolle, wo doch die Familie davon ausgegangen ist, dass sie Französisch nehmen wird. »Mein Mann hat geschäftliche Verbindungen nach Frankreich und wir verbringen unseren Urlaub häufig dort«, so die Mutter. Als ich die Jugendliche danach frage, sagt sie: »Ach, weiß auch nicht... ist irgendwie geheimnisvoll, ja, toll einfach … und die Mama sagt, Italien ist ein Traum.«
Die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben ist ganz stark an die visionäre Kraft jedes Einzelnen geknüpft, vor allem der Eltern. Wenn sie den Kindern vorleben, dass ihr Alltag aus den Bestandteilen Hetze, Organisieren-Müssen, Konflikte-Bestehen zusammengehalten wird, entwickelt sich bei den Kindern eine natürliche Skepsis gegen das Erwachsenwerden.
Sehnsüchtig erwachsen werden, wie es in meiner Generation noch bei ziemlich vielen der Fall war, will dieser Generation nicht so recht glücken. Hat es damit zu tun, dass auch bei den einst goldenen Fantasien von uns Erwachsenen der Glanz verblichen und die Haltung, etwas bewegen zu können, dem Eindruck, nur noch bewegt zu werden, gewichen ist? Oder ist die Phase der Familienkonsolidierung einfach eine Art Auszeit von subjektiven Visionen? Gut möglich, nur darf sie nicht zu lange dauern. Traumlose und wunscharme Zustände machen dem Körper und der Seele zu schaffen. Und ebenso Zustände, in denen die Sorge für die Gemeinschaft nicht mehr im Gleichgewicht ist mit der Sorge um das Eigenwohl. Die familiäre Gemeinschaft ist kein Ersatz für die Eigenvorsorge. Wie oft sagen gerade Mütter: »Wenn es der Familie gut geht, dann geht es auch mir gut«! Oder fast noch häufiger kommt der Satz, den ich bereits an früherer Stelle erwähnt habe: »Wenn es den Kindern gut geht, geht’s auch mir gut.«
Vielleicht ist es das Schwerste überhaupt, im Familienkosmos die eigenen Vorstellungen von einem erfüllten Leben zu bewahren und sie durch das Familienleben hindurch aufrechtzuerhalten. Sie nie ganz aufzugeben, sie nie ganz loszulassen - auch wenn die Umsetzung immer wieder von Notwendigkeiten im Alltag aufgehalten
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