Damon Knight's Collection 02 (FO 03)
ich einen Spiegel haben?«
»In den Zimmern gibt es keine, Mädchen. Wenn Sie gehen können, finden Sie einen in der Toilette.«
»Aber wie sehe ich aus?« fragte sie.
Die Schwester musterte sie ernsthaft. »Nicht schlecht«, versicherte sie. »Ihr Auge ist getrübt von Narbengewebe, aber das wird später entfernt.«
Sie stöhnte. »Es sieht scheußlich aus, ich wußte es. Trotzdem, vielen Dank!«
Die Schwester hörte nicht auf, sie streng anzustarren, bis sie schließlich sagte: »Es ist gut, Schwester.«
»Machen Sie mir keinen Kummer«, sagte die Schwester. »Legen Sie sich hin und ruhen Sie sich ein bißchen aus.«
Die Schwester ging zu dem Arzt hinaus, der auf der anderen Seite des Korridors im Eingang eines riesigen Klassenzimmers stand und mit zwei Besuchern redete. »Sollen wir Miss D.’s. Zyklus unterbrechen?« fragte sie.
»Ja, aber nur für zwei Tage. Da wartet schon wieder ein neues Semester von Augenärzten.« Dann wandte er sich höflich an die Besucher. »Wir haben sie jetzt alle Stadien noch einmal durchlaufen lassen«, erklärte er ihnen. »Nach zwei Tagen fangen wir wieder von vorne an.«
Einer der Besucher erkundigte sich: »Wie können Sie denn nun wieder von vorne anfangen?«
Der Arzt sah erstaunt aus. »Oh, wir erzeugen natürlich die ursprüngliche Verletzung.«
»Merken sie nichts davon?« fragte der andere Besucher. »Ich meine, wird ihnen die Wiederholung nicht irgendwann bewußt?«
»Ganz bestimmt nicht«, sagte der Arzt schockiert.
»Wie ersetzen Sie sie?«
Der Arzt steckte die Hände in die Taschen und führte die Besucher den Korridor entlang zu einem anderen Zimmer. »Diese Station ist immer voll«, erklärt er. »Unfallpatienten, die nicht identifiziert werden konnten oder keine Angehörigen haben oder, und das sind die meisten, kein Geld haben und die Krankenhauskosten nicht bezahlen können.«
Die Schwester kam mit einem Tablett, auf dem eine kleine Plastiktasse mit Tabletten stand, an ihnen vorbei und öffnete die Tür zum Zimmer der Patientin.
»Noch mehr Tabletten?« fragte diese.
»Nun, Miss D. wir haben solche Fortschritte gemacht. Wollen Sie nicht nach Hause? Alles hinter sich haben?«
Sie fing an zu murmeln: »Alles hinter mir, alles vorbei, alles erledigt«, während die Schwester ihr die Tablette in den Mund steckte und ihr ein Glas Wasser reichte.
»Ja, ja, nach Hause zu Mama, alles vorbei, nach Hause, mm.« Plötzlich wurde sie von Schläfrigkeit übermannt.
»Nehmen Sie noch einen Schluck«, sagte die Schwester und drückte ihr das Glas an die Unterlippe.
Sie schluckte zweimal, erst die Tablette, dann das Wasser. »Mmm. Bring mich nach Hause, trag mich zurück, mein Auge ist ganz ausgefüllt, kein Pfennig drin, gleich schlaf ich ein.«
»Es tut nicht weh«, sagte der Arzt und beugte sich über sie. Sie sah seinen weißen Ärmel über ihr Gesicht zum rechten Auge hin streifen, und dann stieß er die Spritze durch das untere Lid und den Augapfel. Sie gab einen Schrei von sich. Die jungen Studenten erschauderten und beugten sich vor, um besser sehen zu können.
»Nach oben sehen«, befahl der Arzt. »Sie müssen nach oben sehen.«
Ich hebe meine Augen auf zu den Hügeln, sagte sie verbissen und versprach, nicht wieder zu schreien. Sie blickte hoch, vorbei an dem Plastikzylinder der Spritze, zu der mit knirschendem Schnee bedeckten Hügelkette hinauf. Da waren sie alle, die Menschen, sie mußten sich zu einem Winterpicknick versammelt haben. Ich gehe, nahm sie sich vor.
»Ich stehe auf und gehe«, schrie sie.
Der Arzt murmelte: »So, so. Die Bahn nutzt sich ab, das habe ich mir doch gedacht.« Und während er weiter in der Tiefe ihres Auges sondierte, sagte er etwas lauter zu ihr: »Ja, Sie können gehen, Sie haben sich Ihren Urlaub redlich verdient.«
»Aber ich will mein Auge mitnehmen«, beharrte sie. »Ich muß, ich brauche es.«
»Still jetzt, pscht«, sagte die Schwester beruhigend.
»Sie können Ihr Auge mitnehmen«, versprach der Arzt. »Halten Sie jetzt still. Wir sind gleich fertig.« Aber seine Stimme klang irgendwie verzweifelt, und sie glaubte ihm nicht. Offenbar hatte sie das Auge verloren, und was hatte sie noch verloren? Den Kopf zu bewegen, wagte sie nicht, aber unter dem kalten sterilen Laken faltete sie ihre runzligen Hände.
5 Eier
( Thomas M. Disch)
Weh mir, dachte er (in solchen Worten dachte er tatsächlich), weh mir, Nyctimene ist von mir geflogen. Seit ihrem ersten Abend auf dem Hügel unter der großen Eiche
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