Damon Knight's Collection 10 (FO 19)
lärmte der Wasserfall, und vor ihnen lärmten die Partygäste. Martie beobachtete das Treiben. „Die Sterblichkeitsziffer, natürlich nur aufgrund von Schlußfolgerungen, Sie verstehen. Etwas Schriftliches ist nirgends aufzutreiben. Aber die Zahlen, die wir errechnet haben, sehen folgendermaßen aus: vor fünf Jahren eine Million achthunderttausend, heute vierzehn einviertel Millionen.“ Boyle stieß einen erstickten Laut aus und fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht. Er schenkte sich Bier nach und nahm einen tiefen Zug. Martie wartete, bis er leergetrunken hatte, dann sprach er weiter. „Die Geburtenziffer von dreieinhalb Millionen gesunken auf eine Million zweihunderttausend. Das sind Lebendgeburten. Mit diesen Ziffern kommen wir bei dem Material, das wir finden konnten, auf einen Verlust von dreiundsechzig pro tausend. Eine Sterberate von dreiundsechzig pro tausend.“
Boyle starrte ihn an. Dann wandte er die Blicke wieder der Party zu, ohne ein Wort zu sagen.
Martie sah zu, wie Julia sich mit den Gästen unterhielt. Sie hatte nie hübscher ausgesehen. Die Schwangerschaft verlieh ihrem schmalen Gesicht etwas Weiches, ließ es aufblühen. Was hatte diese Hexe gemeint, als sie sagte, die Zeit sei so kurz? Er konnte Julias Worte in seinem Innern hören: Du wirst früher oder später die Kehrseite betrachten müssen. Sie begriff nicht. Auch Boyle begriff nicht. Leute wie Whaite hätten eine Theorie niemals so gründlich verworfen, wenn sie auch nur ein Fünkchen Substanz enthalten hätte. Gewiß, es war ein Mythos, wenn behauptet wurde, die Wissenschaftler bildeten eine echte Gemeinschaft. Es gab Rivalitäten – aber keine Korruption von diesem Ausmaß. Niemals würde die wissenschaftliche Welt geschlossen hinter einer Lüge stehen. Er rieb sich die Augen. Aber wie viele Wissenschaftler verstanden genug von Biochemie, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können? Sie mußten sich auf das Wort von Leuten verlassen, die als Experten auf diesem Gebiet galten; und wenn diese, im besten Falle ein Dutzend, ihr Urteil abgaben, wurde es von den übrigen Wissenschaftlern anerkannt. Nur die Außenstehenden, die Laien, konnten daran zweifeln; jemand, der zu dieser Gemeinschaft gehörte, würde gar nicht daran denken. Martie trommelte mit den Fingern ungeduldig auf die Tischplatte. Ketzerei. Wahnsinn. Sie würden ihm Titel und Stelle nehmen, wenn er solche Gedanken aussprach. Aber verdammt, so abwegig war die Sache nicht! Sechs, acht oder zehn Männer konnten eine Theorie unterdrücken, aus welchem Grund auch immer, wenn sie sich nur einig waren. Über vierzehn Millionen Tote in diesem Jahr, allein in den Staaten. Wie viele auf der ganzen Welt? Hundert Millionen, zweihundert Millionen? Sie würden es vermutlich nie erfahren.
„Hilary, ich fliege morgen oder in den nächsten Tagen nach Cambridge. Ich muß mit Smithers’ Frau sprechen.“
Hilary nickte. „Wie lange dauert es bei dieser Sterblichkeitsziffer, uns auszurotten?“
„Etwa zwölfeinhalb Jahre, einschließlich der beiden letzten.“ Martie antwortete, ohne lange nachzudenken. Er hatte keine Ahnung, wann er diese Berechnung durchgeführt hatte. Bewußt war es jedenfalls nicht geschehen.
Er sah, wie Julia mit Dr. Wymann sprach und seine Hand ein paar Sekunden lang festhielt. Sie nickte, und der Doktor wandte sich ab und ging. Was hatte Wymanns Frau gemeint? Weshalb hatte sie diese Bemerkung gemacht? Wenn „die anderen“ existierten, dann gehörte sie zu ihnen. Wie Wymann. Wie Senator Kern. Wer sonst noch?
„Ich kann es nicht glauben!“
„Ich weiß.“
„Es würde ihnen nicht gelingen, solche Zahlen zu unterdrücken. Was ist mit Frankreich? England? Rußland?“
„Nichts. Keine Statistiken über die letzten vier Jahre. Die Akten verbrannt, verlegt, unvollständig. Nichts.“
„Mein Gott!“ sagte Boyle.
Julia rauchte zuviel. Sie wanderte hin und her, bis das Telefon klingelte. Dann riß sie den Hörer an sich. „Martie! Ist mit dir alles in Ordnung?“
„Natürlich. Was gibt es denn, Liebling?“ Seine Stimme klang abgehackt; er war außer Atem.
„Entschuldige, Schatz, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich dich sonst erreichen könnte. Sag jetzt gar nichts! Komm nur heim, Martie, sofort heim. Geht das?“
„Aber – gut, Liebling. Meine Maschine fliegt in einer Viertelstunde. Ich bin in zwei Stunden bei dir. Rühr dich nicht von daheim weg! Wie fühlst du dich?“
„Gut. Mir fehlt
Weitere Kostenlose Bücher