Damon Knights Collection 10
Julia von hinten, drückte sie an sich. „Sie werden alles umwerfen müssen, wenn das stimmt. Bei Mord, bei Massenmord, werden viele nicht mitmachen. Dadurch gelangt es an die Öffentlichkeit, wo wir ein Wort mitzureden haben …“
Julia machte sich los. Sie drehte sich um und sah ihn ruhig an. „Damit ist die Sache nicht erledigt. Noch nicht. Es kommt noch etwas anderes …“
„Was?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es damit nicht zu Ende ist, noch nicht. Nicht auf diese Weise. Martie, hast du dich entschieden? Es bringt dich um. Du mußt dich entscheiden.“
Er zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wird es für mich entschieden. Ich gehe jetzt nach oben und rasiere mich.“
Sie schüttelte den Kopf. „Du wirst die Entscheidung treffen müssen. Noch in dieser Woche, wenn ich mich nicht täusche.“
„Dr. Wymann, warum begehen, im Verhältnis gesehen, mehr Ärzte als Laien Selbstmord?“ Julia schenkte Kaffee ein und reichte den Zucker herum, während sie sprach. „Und warum gibt es so viele Alkoholiker und Süchtige unter den Medizinern?“
Wymann zuckte mit den Schultern. „Ich passe. Warum?“
„Oh, weil die Ärzte als Kollektiv so sehr viel mehr Angst vor dem Tode haben als irgend jemand sonst. Finden Sie nicht?“
„Ziemlich vereinfacht, würde ich sagen.“
„Gewiß. Die unerbittlichsten Triebe sind oft sehr vereinfacht.“
„Julia, Sie müssen kommen und sich untersuchen lassen. Sie wissen das. Es könnten unvermutete Komplikationen auftreten, die das Baby in Gefahr bringen.“
„Ich komme, sobald ich mein Werk fertig habe. Noch ein paar Tage. Dann melde ich mich bei Ihnen, wenn Sie wollen. Aber zuerst muß ich es vollenden. Es ist Marties Weihnachtsgeschenk.“
Martie starrte sie an. Weihnachten. Das hatte er vergessen. Sie lächelte. „Schon gut. Das Baby ist mein Geschenk. Du bekommst die Plastik.“
„Woran arbeiten Sie denn? Darf ich das Werk ansehen?“ fragte Wymann. „Obwohl ich, wie Sie bereits wissen, mehr für verständliche Dinge bin. Nichts Esoterisches oder Doppeldeutiges.“
„Das hier ist so klar wie – ein Sonnenuntergang. Ich hole meine Stiefel.“
Sobald sie draußen war, stand Wymann auf und ging mit nervösen, schnellen Schritten auf und ab. „Ich möchte wetten, daß es einen Hauch von Tod an sich hat. Sie machen alle das gleiche. Eine weltweite Kulturexplosion, so hat es die Times am Sonntag genannt. Alles hat einen Hauch von Tod an sich.“
„Fertig? Ziehen Sie sich warm an, Doktor!“
In dicke Sachen gehüllt, gingen sie gemeinsam zum Stall hinüber. Das Werk ragte drei Meter auf, an manchen Stellen. Der Quarzit war verschwunden, nicht zu sehen. Martie wußte nicht, was sie damit gemacht hat te. Was blieb, war unregelmäßiger Sandstein, stumpfrot mit gelben Adern. Er sah sehr weich aus. Die Linien, die sie hineingemeißelt und geschnitten hatte, wirkten zufällig. Auf den ersten Blick erinnerte es an eine mittelalterliche Stadt, mit spitzen Türmen, abgeflachten Stellen, Dächern. Die Illusion einer Stadt verschwamm, und es wurde zu einer rauhen Gebirgslandschaft, mit Nadelzinnen, unergründlichen Schluchten. Vielleicht ein Unterwassergebirge. Martie ging um den Block herum. Er wußte nicht, was er darstellen sollte. Er konnte die Blicke nicht abwenden, und, sonderbar, tief im Innern spürte er eine Sehnsucht.
Dr. Wymann starrte es mit verwirrter Miene an. Er schien sich im stillen zu fragen: „Das ist es? Wozu eigentlich die Aufregung?“
„Martie, nimm meine Hand. Laß es mich erklären …“ Ihre Hand, kalt und rissig in seiner. Sie führte ihn, blieb an der Flanke des Steins stehen, wo das Westlicht einfiel. „Es muß im Freien aufgestellt werden, auf einem glatten, schwarzen Basaltsockel, sanft gewölbt, nicht geschliffen, sondern von einer natürlichen Glätte. Ich weiß, daß es diese Steine gibt, aber ich konnte bis jetzt keinen auftreiben. Und es sollte langsam verwittern. Regen, Schnee, Sonne, Wind. Es sollte vor nichts geschützt werden. Jeder muß es berühren können. Skulpturen muß man nämlich berühren. Sie sind ein Ausdruck des Tastsinns. Hier, fühle …“ Martie legte die Hand auf die Stelle, die sie ihm zeigte, und fuhr mit den Fingern eine der schroffen Klippen entlang. „Schließe die Augen einen Moment lang“, sagte sie. „Du sollst es nur fühlen!“ Sie griff nach Wymanns Hand. Er stand ein wenig abseits. Einen Augenblick sträubte er sich, aber sie lächelte und legte seine Hand auf den
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