Damon Knight's Collection 11 (FO 29)
Walt.
Der amerikanische Holo-Schirm zeigte eine Innenaufnahme des Katsura-Palastes mit Blick auf einen blühenden Aprikosengarten. Er maß ein mal zwei Meter (damit er zu der japanischen Strohmatte paßte, die sie immer hatten kaufen wollen) und kostete bei DER im Monat fünf Pfund Miete.
Zur Seite geschoben enthüllte er eine Gruppe von drei Schreibpulten. Wabenförmige Nischen umgaben sie; man sah ein veraltetes Wörterbuch, ein wackliges Aufnahmegerät und eine Olivetti mit ausgefranstem, schwachem Farbband, die aber bis auf den Tabulator noch funktionierte. Die restlichen Fächer nahmen Emmas Gesteinssammlung von Brighton und Hastings auf; Kiesel, Strandgeröll, Sandstein, roter und grauer Quarzit, Schiefer und Feuerstein.
Emmy – das Nesthäkchen des Haushalts – hatte das kleinste der drei Pulte. Es besaß eine eigene Schublade, die sie immer zusperrte. Den Schlüssel trug sie an ihrem Armband. In der Schublade waren ein Tagebuch für das Jahr 2088 (nie beendet), eine Plastiknarzisse, ein Fläschchen mit Lourdes-Wasser (ein Abschiedsgeschenk von Schwester Mary Margaret), eine Schnur mit ungleichen Perlen, die sie nach einem Wutausbruch ihrer Mutter gerettet hatte, und eine verschnörkelte Suchard-Schokoladenschachtel. Im Innern der Schachtel, in einem weißen Umschlag, befanden sich drei Fotos, alle sechs mal zehn Zentimeter groß.
Das erste zeigte drei Männer und eine Kuh vor einem großen ockergelben Haus. Die Fensterläden und das langgestreckte Holzgeländer des Balkons waren moosgrün gestrichen. Die Kuh stand mit schwerem Euter im Vordergrund und verdeckte zwei der Männer zum Teil. Der dritte, langweilig gekleidet, hatte sich von der. Kamera abgewandt und schien wie die Kuh einfach zur Landschaft zu gehören. Die Männer, die in den Fotoapparat lächelten, hatten irgendwie das Aussehen von Touristen. Ihre Gesichter waren gebräunt, ein fröhlicher Goldton wie die Hauswände im Hintergrund. Der größere Mann trug einen weißen, rosenbestickten Anzug und ein Rüschenhemd; rote Haarkringel wehten um sein stark zurückweichendes Kinn. Sein Begleiter, nur in Shorts und mit nacktem Oberkörper, hielt dem Fotografen eine Weinflasche entgegen. Auf der Rückseite des Bildes stand mit dunkelroter Tinte: ‚Reutte, Juli 52’.
Das zweite Foto zeigte Kopf und Schultern eines Mannes, der Ähnlichkeit mit dem größeren der beiden Touristen hatte; allerdings war sein Haar jetzt braun, und ein Spitzbart ließ sein Kinn kräftiger erscheinen. Er hatte auch zugenommen. Unterlippe und Wangen wirkten unnatürlich gerötet, die Züge schlaff. Vielleicht hatte er getrunken. Seine Lider sanken schwer, buddhagleich, über helle, grünblaue Augen, die mit einer Schärfe in die Kamera starrten, wie sie nicht recht zu seinem sonstigen Aussehen passen wollte. Im Hintergrund breitete ein Orangenbaum seine Blätter und drei winzige Früchte aus. Dieses Foto war nicht beschriftet.
Auf dem dritten standen ein paar Worte quer über dem Wolkenschleier am oberen Bildrand: „Walt und ich – Sommerferientag.“ Der gleiche Mann war nun wieder rothaarig. Sein Bart wirkte voller, Gesicht und Körper schmaler. Bis auf ein Silberarmband und eine schwere Silberkette um den Hals war er nackt, ebenso wie das kleine Mädchen, das er in die Luft stemmte. Oberkörper, Arme und Beine, aus Eitelkeit vollkommen glatt rasiert, glänzten vor Öl. Seine Hände stützten das Becken des Mädchens, und sie hielt ihr schwankendes Gleichgewicht, indem sie die Stirn an seine drückte.
Sie sahen einander in die Augen und lachten. In einiger Entfernung, inmitten des Gewühls von Badenden, konnte man Emmas Mutter erkennen. Sie trug einen züchtigen Bikini. Die Augen von dem neckischen Paar im Vordergrund abgewandt, starrte sie auf das graugrüne Meer hinaus.
Oft, wenn sie allein in ihrer Zweizimmerwohnung war, schob Emma den Schirm zur Seite, sperrte die Schublade auf und holte die Suchard-Schachtel hervor. Dann starrte sie die Fotos an und küßte sie mit gespitzten Lippen, bevor sie eines nach dem anderen wieder in den Umschlag tat. Sie liebte Walt.
„Gibt es“, fragte der alte Harness, „jemand in der Klasse, … der …“ Die Pergamentlippen kräuselten sich zu einer unausgesprochenen Entschuldigung. Die flinken Augen, gelb wie die Schüsseln des Schulklosetts, fingen ihren verlegenen Blick auf und wanderten weiter.
Wäre ich still geblieben, wenn er die Frage ausgesprochen hätte? überlegte Emma. Hätte ich mich der Meute
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