Damon Knight's Collection 11 (FO 29)
dann gehen wir weg?“
Ihre Mutter lachte, so wie früher, als sie noch alle zusammenlebten, und sie hob Emma hoch und drückte sie in die kühle Seide von Ellens Kleid. Ellen war gestorben und dann Emmas Vater, bei den Kämpfen, und nun auch noch Granny. Sie waren Katholiken, und Katholiken müssen sterben. Eines Tages würde Emmas Mutter sterben und wieder eines Tages Emma selbst, und das kann ein herrliches Erlebnis sein, wenn man im Zustand der Gnade ist.
„Ja, wir gehen weg. Wir gehen ganz bestimmt weg. Aber du darfst nicht darüber sprechen, Liebes. Auch jetzt noch nicht. Und wenn Kusine Bridie dich über England oder mich auszuhorchen versucht, dann mußt du sagen, daß du nicht weißt, was ich mit meinem Erbteil machen werde. Es ist unser Geheimnis. Versprichst du mir das?“
„Ja. Aber erzählst du mir von London?“
„London – oh, in London wird es herrlich, Emma! Wenn du die Stadt zum ersten Mal siehst, wirst du glauben, daß du träumst. London ist die schönste Stadt der Welt. Im Vergleich dazu ist Dublin nur ein Kehrichthaufen!“ Sie drückte Emma noch einmal an sich und stellte sie dann ab. Da, wo sie gingen, war das Gras so lang, daß es ihre Beine über den Stiefelrändern kitzelte und ganz naß machte.
„Auf den Straßen gibt es Musik, und die ganze Nacht scheint die Sonne, zumindest ist es genauso hell, als ob sie scheinen würde. Die Häuser sind alle sauber und neu, nicht schäbig und voll von Mäusen, und dann gibt es einen Park, so groß wie ganz Clonmel, in dem Blumen noch und noch sind, echte Blumen, die aus der Erde wachsen. Und es gibt Türme, so hoch, daß man bei schlechtem Wetter ihre Spitzen nicht sehen kann, weil die Wolken davor sind. Und die Menschen werden anders sein. Viel glücklicher. Die Menschen sind schön; sie sind jung. Keiner ist verbittert oder angsterfüllt. Keiner ist arm. In London kann man leben, wie es einem gefällt. Man muß weder sich noch andere belügen. Du kannst nicht begreifen, was für ein Unterschied das ist – schön sein … frei sein!“
„Werden wir auch Heiden, wenn wir da hingehen, und können wir dann nie sterben?“
Ihre Mutter blieb stehen und bückte sich, so daß ihr Gesicht in gleicher Höhe mit dem von Emma war. Sie hatte die Lippen zu einem Lächeln geöffnet, und das Haar wehte ihr über die Augen. Sie sah schön aus.
„Liebling! Liebling!“ Und sie lachte. „So einfach ist das nicht. Sie können es nicht ändern, daß sie am Leben bleiben, und wir können es nicht ändern, daß wir sterben.“
„Warum?“
„Wenn ich diese Frage beantworten könnte, Emma –“ Sie schob ihr Haar zurück und richtete sich auf – „dann würde Irland aufhören zu existieren.“
Sie gingen zurück zur Pforte am Weg. Ein Priester stand gebeugt an der zweiten Kreuzwegstation und betete seinen Rosenkranz.
„Guten Abend, Mrs. Rosetti. Nun ist das Ende doch gekommen. Er war ein guter Mensch. Die Welt wird um ein Stück kleiner erscheinen.“
„Ja, eine Tragödie“, murmelte Mrs. Rosetti und eilte durch das Tor.
„Guten Abend, Emma“, rief der Priester ihr nach.
„Guten Abend, Pater.“
Sie sah ihn noch ein paarmal durch die Gitterstäbe und Stechpalmenzweige, als ihre Mutter sie hastig weiterzog. Woher wußte er, daß sie Emma hieß? Sie hatte ihn noch nie im Leben gesehen.
Es war der Jesuitenbischof C. S. Marchesini von Dublin, und er hielt die Trauerpredigt ‚Tod, wo ist dein Stachel?’ St. Stephen war fast so voll wie am Sonntag, nur hinten gab es noch ein paar freie Bänke. Emma saß ganz vorne zwischen ihrer Mutter und Mister Tauler, dem Juden, der sich um die Buchhaltung kümmerte. Der Heilige Augustinus sagte, daß man sie nicht Juden nennen durfte, wenn sie getauft waren, aber alle taten es.
Emma trug heute auch ein schwarzes Kleid, aber der Saum war bloß geheftet, weil die Babys die ganze Nacht gezahnt hatten und Kusine Bridie sich betrank. Als ihre Mutter mit dem Wagen kam, gab es Streit. Leonard sagte, er wolle verdammt sein, wenn er einen Fuß in dieses Ungetüm setzte, und ihre Mutter entgegnete, es würde keinen wundern, wenn er das ohnehin wäre. Kusine Bridie fing zu flennen an und hörte bis zur Kirche nicht mehr auf damit.
Vor der letzten Hymne mußten noch alle einen Blick in den Sarg werfen. Ihre Mutter hob sie hoch. Er hatte die Lippen angemalt und lächelte, und sie fand, daß er nett aussah, weil er früher nie gelächelt hatte. Er war auch nicht so dick wie sonst und hatte keinen Stock. Außer er lag
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