Damon Knight's Collection 11 (FO 29)
Problem der Genetik –“
„Ja – leider“, sagte Mister Harness.
Emma schloß ihr Merkheft.
„Emma?“
„Darf ich bitte austreten?“
Als Emma das Klassenzimmer von Mister Harness verließ, trat sie Charmian mit aller Kraft auf den eleganten Fuß. Sie konnte beinahe selbst spüren, welchen Schmerz sie auslöste.
Anfangs, während ihrer ersten Monate in Inverness, war Charmian Emmas beste Freundin gewesen, aber diese Zeit kam nicht zurück. Es hatte keinen Sinn, etwas anderes zu glauben. Zuviel war auf beiden Seiten gesagt worden, und es gab keine Freundschaftsgrundlage mehr zwischen ihnen.
Dennoch öffnete sie Charmians Zettel, nachdem sie die Toilette verriegelt hatte, las ihn rasch durch und spülte ihn dann hinunter. Es war eine Einladung zum Abendessen bei Charmians Familie. Eine Zusage war selbstverständlich ausgeschlossen. Mister Levin hatte geschäftlich mit Arthur Schiel zu tun, und wenn Emmas Mutter je erfuhr … Es war schlimm genug (wie Mrs. Rosetti oft genug herausstrich), daß Emma das Schuljahr in Inverness auf Arthur Schleis Kosten beendete, aber die Levins jetzt zu besuchen, ihre gutgemeinten Fragen beantworten zu müssen, wieder in Mrs. Levins stolzem Salon zu stehen, diesem perfekten kleinen Tempel der Neuen …
Jemand klopfte an der Tür. „Emma, ich bin es, Charmian. Ich möchte mit dir reden. Bitte.“
„Nein.“
„Ich muß mit dir reden. Ich erklärte dem guten Wiesollichessagen, daß ich in Sachen Frauenhygiene auf den Lokus müßte. Hast du meinen Zettel gelesen?“
„Nein.“
„Du hast ihn gelesen. Ich weiß nämlich ganz genau, wann du lügst. Emma, wenn ich irgend etwas gesagt habe, das dich kränkt, dann tut es mir leid. Es war nicht böse gemeint. Mir ist schon ganz elend vom vielen Nachdenken, ehrlich. Du mußt mich heute abend besuchen.“
„Tatsächlich?“
„Ich habe meiner Mutter versprochen, daß ich dich mitbringen würde. Sie erkundigt sich immer nach dir. Und sie will auch bei Wimpy eine besonders feine Torte für uns bestellen. Wir können uns richtig vollhauen.“
Emma begann zu heulen. Es war keine bewußte Grausamkeit von Charmian, denn Emma hatte weder ihr noch sonst jemand in Inverness von Walt erzählt. Ihre neue Adresse war Schmach genug.
„Ist es das, was ich über Gott gesagt habe? Ist es das? Es tut mir leid, aber ich kann doch nichts für meine Anschauung, oder? Ich würde wirklich gern an Gott glauben, aber ich bringe es nicht fertig. Obwohl ich es rein von der Vernunft her durchaus in Ordnung finde. Wahrscheinlich wäre ich glücklicher, wenn ich an ihn glauben könnte, aber selbst dann hätte ich keine Möglichkeit, katholisch zu werden. Sie würden mich nicht nehmen. Und egal, was deine Kirche sagt –“
Aber Emma hatte Charmian nie verraten, daß sie katholisch war!
„– kein Mensch kann etwas dafür, wie er geboren ist. Kommst du nun zum Abendessen?“
„Es geht nicht.“
„Nur dieses eine Mal. Ich habe keinen Menschen, mit dem ich mich unterhalten kann. Ellen ist durch und durch doof. Du bist jünger als ich, aber was machen zwei Jahre schon aus? Emma, ich brauche dich – unbedingt!“
Es dauerte weitere zehn Minuten, bis sich Emma überreden ließ. Auf dem Weg zur U-Bahn sagte Charmian: „Ich habe Karten für Westminster Abbey. Die Heilige Theresa soll hinkommen.“
„Persönlich?“
Charmian zog eine ihrer schneeweißen Augenbrauen hoch. „Mm.“
„Oh, wunderbar!“ Sie faßte Charmian um die Taille und küßte sie auf die Wange. Ihre Lippen hinterließen einen roten Abdruck.
Sie sind leidenschaftlicher, dachte Charmian anerkennend und zugleich ein wenig neidisch. Sie sagte: „Du bist doch wirklich meine beste Freundin.“
Emma nahm lächelnd die Hand des älteren Mädchens, aber sie brachte es nicht über sich, das Kompliment zu erwidern.
Dabei hätte sie nicht einmal gelogen: Charmian war in der Tat ihre beste – und ihre einzige – Freundin und wußte das recht gut. Aber selbst wenn man jemand so sehr mochte, war man nicht gern auf sein Mitleid angewiesen.
Sobald man erst mit dem Katzbuckeln anfing, mußte man es immer tun.
Mittags, der Erste Freitag im Mai. Während des Einkaufsbummels, entlang der Hauptstraße boten die Leute ihre weiße englische Haut den kräftigen Sonnenstrahlen dar. Wie die Moleküle der Luft selbst schien sich das erwärmte Fleisch in einem rascheren Tempo fortzubewegen. Mrs. Rosetti schlenderte in einem leichten Drogenrausch an dem vornehmen Prunk der Ladenfronten
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