Damon Knights Collection 4
Arthusrunde ihre Damen angebetet hatten, und machte sich viele Gedanken über ihre Schwierigkeiten. Wenn sie ihm bei der Heimkehr von Geschäftsreisen entgegenkam, einen dichten Schleier vor der einst kecken Nase und dem schwellenden Korallenmund, wurde Hubert traurig. Er hatte Fantasie. Er wußte, was es für Lila bedeuten mußte, ihr Gesicht zu verstecken. Er küßte sie auf die Stirn. Selbst bei dieser viktorianischen Begrüßung schien es Hubert, als hielte Lila den Atem an. Das wehte ein Stückchen Schleier genau in ihren Mund. Sie versuchten darüber zu lachen, als sei es etwas Komisches. Aber ihre Augen füllten sich mit Trauer.
Als Hubert nach dieser Geschäftsreise heimkehrte, konnte Lila das Bett nicht verlassen. Ihre Fesseln waren von Wasser aufgeschwemmt und, was noch schlimmer schien, ihre Augen zugeschwollen. Aber diesmal konnte er ihren Mund sehen. Ihre rosigen Lippen unter den zeitweise blicklosen Augen murmelten: »Liebling, weißt du, welcher Tag heute ist?«
Hubert suchte in seinem erstaunlichen Gedächtnis nach einem vergessenen Jahrestag. Er wußte genau, daß heute der 7. April war. Aber sie hatten im Juni geheiratet, am Valentinstag Verlobung gefeiert. Sie hatten beide am 9. September Geburtstag. Es war auch nicht Muttertag. Es war auch nicht Vatertag. Es war auch nicht Denkt-an-die-Großeltern-Tag. Kein Waffenstillstandsgedenktag. Kein Tag des Unbekannten Soldaten. Kein Betreut-einen-alten-Krieger-Tag. Kein Laß-uns-auswärts-essen-Tag. Kein Nationale-Sicherheit-Tag. Es war einfach der 7. April, der sich darin auszeichnete, kein besonderer Tag zu sein.
Hubert fühlte sich in die Enge getrieben. Er wich auf eine verläßliche und erprobte Taktik zurück. Er fragte: »Was habe ich getan?«
»Nichts, ich habe dich im Stich gelassen . Seit du zum Militär gingst«, sagte sie, sich kratzend, »habe ich unsere Einkommensteuererklärung fertiggemacht. Ich arbeite während des ganzen Jahres jede Woche ein bißchen daran.« Sie kratzte sich wieder. »Aber ich bin erst auf der siebenunddreißigsten Seite. Und sie ist am 15. April fällig.«
»Laß sie liegen«, rief Hubert. »Ich kann mir die Strafe leisten.«
»Du hast etwas vergessen, Hubert. Oh!« Lila wollte nicht mehr kratzen, aber schon der Wille dazu schmerzte. »Der Kongreß verschärfte die Strafbestimmungen, während du in Übersee warst. Jetzt gibt es auch Gefängnis. Wahlweise mit IRS, aber man kann dazu verurteilt werden.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich schaffe das schon, genauso wie früher.«
»Ich werde es dir überlassen müssen.«
Er küßte sie – ein wunderbarer und andächtiger Kuß. Ein Lächeln flog über ihren Mund. Sie flüsterte: »Ich glaube, ich kann mein Auge ein bißchen aufmachen.«
Hubert nahm im Büro eine Woche unbezahlten Urlaub. Von den vierundzwanzig Stunden des Tages arbeitete er neunzehn. Am Mittag des 15. April hatte jede Rubrik auf den Formularen die gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Die Erklärung war überprüft. Doppelt überprüft. Lila glühte wie eine Rose. Zum erstenmal konnte Hubert abschalten und einen Augenblick an sich denken. Sein rechtes Ohr schmerzte, seit er mit dem Tischcomputer gearbeitet hatte.
Lila fühlte mit ihm. Sie sammelte die Rechnungen, die ihre Ausgaben für Medikamente eindeutig belegten, und heftete sie sauber ab, zusammen mit Huberts Rechnungen, in Anlage zu seiner Ausgabenliste, einschließlich der eingestellten monatlichen Überweisungen an ihren hilfsbedürftigen Vetter, der als Unterstützungsempfänger in die Klasse 7002 eingestuft worden war. Dann probierte sie aus, was ihre Schwester Helen unter merkwürdigerweise ähnlichen Verhältnissen gemacht hatte. Der Schmerz saß jetzt in seinem linken Ohr.
Sie versuchte es mit Hausmitteln ihrer Freunde. Schließlich half eine Mischung aus Honig, Weinessig und Kardamom Hubert wieder auf die Beine – ein wenig jedenfalls. Als Lila der Mixtur noch etwas heißes Olivenöl beigab, ging der Schmerz bis auf ein gelegentliches Ziehen zurück. Dann nahm er stündlich rund um die Uhr Beruhigungsmittel und gewann sein gesundes, tatkräftiges Selbst zurück.
Aber ein Geist wie der Huberts war nicht untätig geblieben. Er machte eine altmodische Umfrage von Tür zu Tür, im ganzen Häuserblock, mit altmodischem Stift und Block. Alles mußte niedergeschrieben werden, da er kaum hören konnte. Dann übertrug er die Ergebnisse in Tabellen. Er dehnte sein Untersuchungsgebiet aus, rechnete wieder und kam zu einer aufregenden These.
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