Damon Knights Collection 6
wenn ich heute abend bei einem Spezialisten anfrage, wird er in vierundzwanzig Jahren hier sein … Ihnen ist nicht irgendeine spezifische Veränderung in Ihrem Verhalten bewußt –« Doch ein Junge näherte sich ihnen von hinten, setzte einen kleinen Tisch neben des Botschafters Stuhl und belud ihn mit Obstschalen, glacierten Bratäpfeln, einem Silberkrug mit Ale. Argaven hatte bemerkt, daß sein Gast das Frühstück versäumt hatte. Und obwohl das Essen in Winter, zumeist Gemüse und zumeist ungekocht, für Axts Geschmack langweiliges Zeug war, griff er dankbar zu. Da ein ernsthaftes Gespräch beim Essen unangebracht war, ging Argaven zu Allgemeinheiten über: »Sie sagten einmal etwas, Lord Axt, das zu implizieren schien, daß alle Menschen auf allen Welten Blutsbrüder sind. Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Nun, soweit wir wissen – was unter dem Raster des Universums soviel wie das Tausendstel eines Staubkörnchens bedeutet –, waren alle Wesen, denen wir begegneten, in der Tat Menschen. Doch die Blutsbrüderschaft geht auf einige fünfhundert oder fünftausend Jahre zurück, auf die Vor-Ära der Hain. Die alten Hains ließen sich auf hundert Welten nieder.«
Argaven lachte amüsiert. »Meine Harge-Dynastie regiert nun Karhide seit siebenhundert Jahren. Wir nennen die Zeit davor ›alt‹.«
»So nennen wir das Zeitalter des Feindes ›alt‹, und das liegt weniger als sechshundert Jahre zurück. Zeit dehnt sich und schrumpft zusammen, ändert sich mit den Augen, dem Alter, den Sternen, sie tut alles, nur daß sie selbst nicht wiederkehrt oder sich wiederholt.«
»Die Mächtigen der Ekumen träumen also davon, das wirklich alte Reich der Hain wiederherzustellen oder all die Welten der Menschen, all die verlorenen Welten um sich zu sammeln?«
Axt nickte und kaute an seinem Bratapfel. »Zumindest eine gewisse Harmonie zwischen ihnen herzustellen. Das Leben liebt, sich selbst zu kennen bis in seine entferntesten Grenzen. Die Komplexität zu umarmen, ist sein Entzücken. All diese Welten und die verschiedenen Arten und Wege von Bewußtsein und Leben auf ihnen: zusammen würden sie eine wirklich hinreißende Harmonie ergeben.«
»Keine Harmonie hält an«, sagte der junge König.
»Niemand hat es bislang erreicht«, sagte der Botschafter. »Das Vergnügen liegt im Versuch.« Er leerte seinen Becher und wischte sich seine Finger an der grasgewebten Serviette ab.
»Das war mein Vergnügen als König«, sagte Argaven. »Es ist vorbei.«
»Sir –«
»Es ist aus. Glauben Sie mir. Ich werde Sie so lange hierbehalten, Lord Axt, bis Sie mir glauben. Ich brauche Ihre Hilfe. Ich muß nicht über dieses Land herrschen. Ich kann nicht gegen den Willen des Rates abdanken. Sie werden gegen mich stimmen. Wenn Sie mir nicht helfen können, werde ich mich selber töten.« Er sagte es gelassen, doch Axt wußte gut, daß Selbstmord in Karhide die letzte verachtungswürdige Tat war, unentschuldbar, jenseits von Mitleid.
»Das eine oder das andere«, sagte der junge König.
Der Botschafter zog seinen schweren Mantel fester um sich; ihn fror, er fror seit sieben Jahren, seit er nach Winter gekommen war. »Mein Herr«, sagte er, »ich bin ein Fremder auf Ihrer Welt, mit ein paar Hilfsmitteln und etwas Phantasie, dank deren ich mich mit anderen Fremden in den entlegenen Welten unterhalten kann. Ich repräsentiere Macht, aber ich habe keine, trotz meines Titels. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie haben ein Schiff auf der Horden-Insel.«
»Ach, das habe ich befürchtet«, sagte der Botschafter gelassen. »Mein Herr, das Schiff liegt startbereit für Ollul, vierundzwanzig Lichtjahre von hier entfernt. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Meine Flucht aus der Zeit, in welcher ich zu einem Instrument des Bösen geworden bin.«
»Flucht – es gibt keine Flucht«, sagte Axt, nicht mehr ganz so gelassen. »Nein, mein Herr. Verzeihen Sie mir. Absolut nicht – ich kann dem nicht zustimmen –«
Eisiger Regen schlug gegen die Steine des Turms, der Wind heulte in den Winkeln und Turmspitzen des Daches. Drinnen war es ruhig und schattig. Ein Windlicht brannte draußen an der Tür. Die Amme lag leise schnarchend in ihrem Bett, während das Baby in seiner Krippe schlief. Der Vater stand neben der Krippe. Er sah sich im Raum um, oder vielmehr nahm er den Raum wahr, ohne eigentlich hinzusehen, denn er kann te ihn selbst im Dunkeln; auch er hatte hier als kleines Kind geschlafen, hier war seine erste Domäne gewe sen. Dann schlüpfte
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