Physiologie der Ehe (German Edition)
Einleitung
Die Frau, die sich durch den Titel dieses Buches versucht fühlen sollte, es aufzuschlagen, kann sich das ersparen: sie hat es bereits gelesen, ohne es zu wissen. Der allerboshafteste Mann wird niemals über die Frauen so viel Gutes und so viel Böses sagen, wie sie selber von sich denken. Sollte trotz dieser Vorbemerkung eine Frau durchaus das Werk lesen wollen, so wird das Zartgefühl ihr zur Pflicht machen müssen, nicht auf den Verfasser zu schmälen – denn auf den Beifall verzichtend, der für alle Künstler der allerschmeichelhafteste ist, hat er sozusagen auf dem Titelkupfer seines Buches die vorsichtige Inschrift eingegraben, die man zuweilen über Türen liest: ›Nicht für Damen!‹
Die Ehe hat mit der Natur nichts zu tun. Die morgenländische Familie ist völlig verschieden von der abendländischen Familie. – Der Mensch ist der Diener der Natur, und die Gesellschaft wird dieser aufgepfropft. – Die Gesetze sind um der Sitten willen gemacht, und die Sitten wechseln.
›Für die Ehe kann also dasselbe Gesetz allmählicher Vervollkommnung gültig sein, dem, wie es scheint, alles Menschliche unterworfen ist.‹
Diese von Napoleon bei der Erörterung über das Bürgerliche Gesetzbuch gesprochenen Worte machten auf den Verfasser dieses Buches einen bedeutenden Eindruck; vielleicht senkten sie, ihm unbewußt, in ihn den Keim des Werkes, das er heute dem Publikum darbietet. Als er nämlich – er war damals viel jünger – französisches Recht studierte, verursachte das Wort ›Ehebruch‹ ihm eigentümliche Gefühle. In ungeheurer Größe von all den Paragraphen des Gesetzbuches sich abhebend, trat dieses Wort niemals ohne ein grausiges Trauergefolge vor seine Phantasie: Tränen, Schande, Haß, Todesangst, geheime Verbrechen, blutige Kriege, Familien ohne ihr Oberhaupt, Unglück – alle diese Begriffe nahmen Fleisch und Blut an und richteten sich plötzlich auf, wenn er dieses große Wort ›Ehebruch‹ las. Als er dann später an den in höchster Kultur stehenden Gestaden der Gesellschaft landete, bemerkte der Verfasser, daß die Strenge der ehelichen Gesetze ziemlich allgemein durch den Ehebruch gemildert wurde. Er fand, daß die Gesamtsumme der schlechten Ehen bei weitem die der glücklichen Ehen übertreffe. Endlich glaubte er, als erster die Bemerkung zu machen, daß von allen menschlichen Kenntnissen die Kenntnis vom Wesen der Ehe am weitesten zurückgeblieben sei. Aber dies war eine Beobachtung, wie ein junger Mann sie macht: es erging ihm wie so vielen andern, und wie ein in einen See geworfener Stein verschwand sie im Abgrund seiner stürmischen Gedanken. Der Verfasser beobachtete indessen unbewußt weiter; und so bildete sich in seiner Phantasie langsam ein Schwarm mehr oder weniger richtiger Gedanken über die Natur der Eheangelegenheiten. Bücher bilden sich in den Seelen vielleicht ebenso geheimnisvoll, wie in den duftenden Ebenen von Périgord die Trüffeln sprießen. Aus der einfältig-frommen Angst, die der Ehebruch ihm einjagte, und aus der gedankenlos gemachten Beobachtung entsproß eines Morgens ein winziger Gedanke, worin seine Idee Form gewann. Es war ein Spaß über die Ehe: zwei Gatten liebten sich zum erstenmal, nachdem sie siebenundzwanzig Jahre verheiratet gewesen waren. Er hatte seine Freude an diesem kleinen Pamphlet gegen die Ehe und verbrachte eine ganze Woche mit der köstlichen Beschäftigung, um dieses harmlose Epigramm die vielfältigen Ideen zu gruppieren, die er unbewußt gewonnen hatte und zu seinem eigenen Erstaunen in sich fand. Infolge einer schulmeisterlichen Bemerkung wurde diese Tändelei aufgegeben. Gehorsam diesem Rate, ergab der Verfasser sich wieder der Sorglosigkeit seiner Faulenzergewohnheiten. Indessen vervollkommnete sich dieser kleine Erstlingsversuch in scherzhafter Wissenschaft ganz allein auf den Gefilden des Gedankens: jeder Satz des verurteilten Werkes faßte dort Wurzel und erstarkte, wie ein Zweiglein, das, an einem Winterabend auf dem Sande liegen geblieben, am nächsten Morgen mit jenen bizarren weißen Kristallformen bedeckt ist, in denen sich die launenhafte Zeichenkunst des Nachtfrostes ergeht. So blieb auch dieser Entwurf am Leben und wurde der Ausgangspunkt für eine Menge moralischer Verästelungen. Er war gleichsam ein Polyp, der sich aus sich selber erzeugte. Die sinnlichen Empfindungen seiner Jugend, die Beobachtungen, die eine freundliche Macht ihn anstellen ließ, fanden Stützpunkte in den geringsten Ereignissen. Noch
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