Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
jedem Zimmer ein Grammofon. Wäre das nicht wundervoll: Musik, wohin man auch geht? Ganz bestimmt wird das eines Tages möglich sein. Finden Sie nicht auch, dass diese modernen Geräte ein Geniestreich sind? Ein Bekannter meines Bruders hat einen äußerst einflussreichen Posten bei der BBC. Angeblich wollen sie noch in diesem Jahr hochauflösendes Fernsehen anbieten. Vierhundertundfünf Zeilen pro Bild, stellen Sie sich das vor!«
»Ich habe keine Ahnung, was das heißt«, gestand Estelle mit einem starren Grinsen, während sie Simon einen unauffälligen Tritt gab, damit er sie von dieser verrückten Langweilerin wegholte.
»Das heißt, dass ich mir ein Fernsehgerät zulegen muss«, meinte Augusta. »Ganz sicher werden sie auch wundervolle Musik ausstrahlen. Vielleicht wird Mr Bowlly zurückkehren, um aufzutreten? Oh, das hoffe ich sehr.«
»Die wenigen meiner Bekannten, die einen Fernsehempfänger haben, haben ihn nur gekauft, um ihren Köchinnen eine Freude zu machen und sie davon abzuhalten, zu oft in der Stadt herumzustromern«, teilte Estelle ihr hochnäsig mit. »Ehrlich gesagt, finde ich, dass sie eine völlig ordinäre Spielerei sind. Das Fernsehen wird sich nie durchsetzen. In zwei Jahren hat man es längst begraben und vergessen, so wie all die anderen Modeerscheinungen – einschließlich dieses furchtbaren neuen Brettspiels, das endlos dauert … Monopoly.«
»Miss Fellows scheint mir ein kleiner Wissenschaftsexperte zu sein«, mischte sich Simon ein, bevor Estelle noch beleidigender werden konnte. »Und auch in den alten Wissenschaften mehr als geschickt, wie ich gehört habe.«
»Wenn ich kann, assistiere ich meinem Bruder bei seiner Arbeit«, entgegnete Augusta. »Zumindest, was bestimmte Aspekte betrifft. Abgesehen davon halte ich Elektronenröhren und Glasisolatoren für ausgesprochen schön.«
Estelle stellte amüsiert fest, dass Augustas blasse Wangen einen Hauch von Farbe annahmen. Trotzdem hatte sie genug von dieser einfältigen Außenseiterin und flüchtete sich in ihren Champagner. Leicht berauscht von dem sprudelnden Getränk, fragte sie: »Wo steckt eigentlich Ihr Bruder? Ich würde ihn unendlich gerne kennenlernen.«
Sie musste warten, bis Augusta eine neue Platte aufgelegt hatte, bevor sie eine Antwort bekam.
»Ich vermute, er kümmert sich um Geschäftliches, wenn er nicht hier ist.«
»Und um welche Art Geschäfte handelt es sich? Das ist etwas, das sogar Papa nicht weiß.«
Augustas langes Gesicht verdüsterte sich einen Augenblick, während sie nach einer passenden Antwort suchte. Als ihr etwas von Dickens einfiel, setzte sie ein unbeholfenes Lächeln auf. »Der Mensch ist sein Geschäft«, sagte sie und brach in ein kurzes Gelächter aus, das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Asthmaanfall einer Katze hatte.
Während Estelle darüber nachgrübelte, sah Augusta sich im Zimmer um. »Dort ist Irene«, stellte sie fest. »Dann kann er nicht weit sein.«
Estelle und Simon erblickten eine strahlende Schönheit im hellgrünen Abendkleid, die sich zwischen den versammelten Gästen hindurchschlängelte.
Irene Purbright war graziös wie eine antike Statue, mit großen haselnussbraunen Augen und schimmerndem, goldbraunem Haar. Ihre stolzen Züge hatten einmal jedes Modemagazin geziert. Sie schien wie eine fleischgewordene römische Göttin. Viele Verehrer aus gutem Hause hatten sich um sie bemüht, aber sie war noch keinem ins Netz gegangen und fand das Leben in London inzwischen ermüdend. Angeblich war sie nun eine von Austerly Fellows fünf Teufelsmusen. Ihre Affäre war eine weitere schockierende Episode aus der Biografie Austerly Fellows gewesen. Die Türen der feinen Gesellschaft waren Irene nun verschlossen, daher tauchte ihr Gesicht auch nicht länger in der Vogue auf. Jedoch hatte sie stattdessen ein viel prachtvolleres Leben gefunden, eines voll uraltem Feuer in den Adern und Freuden, die sie sich nicht hätte träumen lassen.
Estelle hatte schon viel über Irene gehört. Sie hatte gegen die Konventionen der Gesellschaft und die Erwartungen, die die Welt an sie hatte, rebelliert. Estelle bewunderte das und beneidete Irene um ihre dickköpfige Unabhängigkeit. Als die Frau an ihnen vorbeizog, bemerkte Estelle rote und blaue Flecken auf der alabasterweißen Haut an Armen und Hals. Andere Frauen hätten sie verschämt verdeckt, aber nicht Irene. Sie trug sie zur Schau wie Medaillen. Estelle überließ Augusta ihren Platten und zog Simon durch den Raum, um Irene in den Flur zu
Weitere Kostenlose Bücher