Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
dauerhaft mit ai schreibt, muss sich von einem staatlichen Gutachter begutachten lassen, und danach bekommt es Förderstunden ... Du liebe Güte, das kostet doch alles ein Geld! Da stellt man dem Kind einfach ein Aufnahmegerät hin, und gut ist. Nahezu alle Passanten, die wir mit dieser Lösungsidee konfrontierten, fanden sie sofort alternativlos. An diverse Fragen im Bildungssektor musste man nur mal eine Maus dransetzen, dann hatte man es auch schon.
Und wenn Sie an dieser Stelle einmal ganz ehrlich sind, dann geben Sie doch auch zu, dass es eh längst niemanden mehr gibt, der seine Texte noch ohne Rechtschreibprogramm erstellt.
Als wir nach unserer >Straßenaktion< den Heimweg antraten, hatte sich etwas verändert. Man fühlte sich plötzlich wichtiger. Wir hatten allesamt das Gefühl, dass wir zu denen im Land gehörten, die etwas bewegten, wir traten heraus aus der Masse der Lemminge! Wir waren keine Barbie- und Playmobil-Kindergruppe! Wir waren politisch! Wir wollten etwas erreichen, verdammt noch mal! Kampf den Sesselpupsern! Kampf den Rechtschreibern! Kampf den – alles Mögliche – ja, wir hatten uns erhoben! So schnell würden wir uns auch nicht mehr setzen.
Völker, hööört diiie Signaale, auf zum läätztään Gefäächt!
Die Iiinternaationaale erkäämpft das Määnschenräächt!
Jahaaa, ich weiß was Sie denken! Wo hat denn diese Maus jetzt unseren Gassenhauer her??
Na, von Ihnen! Gehen Sie mal runter in ihren Keller, und dann schauen Sie da mal ins Regal. Dort finden Sie – nicht alle, natürlich! – sicher irgendwo ein altes Transparent und in einem der Fotoalben, die da rumstehen, sind Sie auch noch mit Latzhose zu sehen.
Wir saßen mal wieder im Garten der Wellers. Heute klebten wir die Fotos der Demo ins Album.
Ferdinand, Rico und ich.
Ich weiß, dass Sie sich jetzt die Augen reiben: Wer saß da im Garten?!
Der Ferdinand, der Rico und ich, ganz genau. Warteten auf Tatjana.
Vielleicht helfe ich Ihnen an dieser Stelle erst einmal auf die Sprünge, damit Sie besser mit oben genanntem Setting im Weller’schen Garten zurechtkommen:
Ich schilderte Ihnen ja bereits, wie es zu Ferdinands und meiner Verbindung kam, und dass dieser meine Verbindung zu Rico zum Opfer hatte fallen müssen. Das erzählt sich mithilfe eines Alphabets von sechsundzwanzig Buchstaben alles so leicht, aber natürlich gehörte diese erneute Veränderung mit vielen anderen zu den schwierigsten in meinem Leben. Dass dieser Ferdinand einmal eine besondere Rolle in meinem Dasein spielen würde, war für mich schon bei unserer allerersten Begegnung spürbar gewesen. Das weiß ich heute. Ich vermute, Sie erinnern sich nicht mehr daran, wie ich in den Stunden nach der Trennung von Tim in einem Kino Zuflucht fand und irgendwann sehr verzweifelt im Foyer kauerte. Bevor ich dort in einen unruhigen Schlaf fallen konnte, verwirrte mich Ferdinand bereits zum ersten Mal mit seiner unverwechselbaren Präsenz. Er hielt sich zur selben Zeit in ebendiesem Foyer auf und kaute in der Nähe der Tür auf einer weggeworfenen Kinokarte herum.
Er verfolgte mich mit seinem Blick, gar nicht voyeuristisch, eher begleitend irgendwie, und als ich mich in einer Ecke in meinen Schmerz eingerollt hatte, kam er zu mir hin, legte ohne Worte den Flyer des Kinos wie eine Decke über mich und verschwand wieder.
In meinem Kummer konnte ich der Begegnung keine Bedeutung beimessen, aber jedes Mal, wenn wir uns später in unserem Viertel begegneten, gab es daraufhin auf beiden Seiten ein kaum wahrnehmbares Innehalten. Heute weiß ich: Ferdinand spürte absichtlich meine Wege auf.
Zu beschäftigt mit meinem kleinen Leben, erkannte ich seine Bemühungen nicht entsprechend an, obwohl er mir immer wieder Anlässe gab, ihn besonders zu bemerken.
Einer der Anlässe spielte sich an einer grünen Ampel ab, an der Ferdinand hinaufgeklettert war, um – wie auch immer – von Grün auf Rot zu stöpseln. Wie ein Feuerwehrmann kam er daraufhin den Ampelpfahl wieder heruntergeschossen und landete mit den Worten vor mir: »Jetzt müssen wir uns leider unterhalten, du solltest nämlich bei Rot nicht rübergehen.«
Sie haben jetzt eine genauere Vorstellung von Ferdinand und davon, wie alles begann.
Ich hingegen musste aber erst einmal Rico begegnen und für kurze Zeit dem Glauben verfallen, mit unserer Zuneigung könnten wir die Naturgesetze außer Kraft setzen. Dass das ein nicht zu meisterndes Unterfangen war, brachte mir Ferdinand, als er die Zeit
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