Danke für meine Aufmerksamkeit: Roman (German Edition)
menschliche Sprache vor. Wenn das nicht klappt, dann eben doch nur Fiepfiep. Aber dann hat man es wenigstens versucht. So war mein Vater.
Meine Mutter war ähnlich. Die hat nur nie so die Hosenträger flitschen lassen. Die konnte die Dinge einfach, und gut war’s. Wenn meine Mutter zum Beispiel aus vollem Hals sang, hätten Sie im ersten Moment nicht sagen können, ob das nun sie war oder eine Aufnahme der Callas. Ich schwöre es Ihnen. Bei längerem Hinhören hätten Sie natürlich gemerkt, dass meine Mutter häufiger atmen musste als die Callas, das ist aber nur eine Frage des Körpervolumens, nicht des Talentes.
Falls Sie in den jüngsten Zeilen eine gewisse Selbstgefälligkeit lasen, dann sehen Sie mir diese bitte nach. Das mag eine Form des Selbstschutzes sein. Denn Sie wissen ja gar nicht, was das mit einem macht, wenn Sie beim Erstkontakt mit uns stets entweder mit Herablassung reagieren oder aber mit einer Hysterie, die Sie ansonsten nur noch für Spinnen vorgesehen haben. Es ist Ihnen sicherlich nicht bewusst, aber das ist jedes Mal ungeheuer kränkend für uns.
»Hi.«
Das Gespräch nahm jetzt richtig Fahrt auf.
Das Mädchen schien es nach dieser extrem knappen, jedoch nicht unsympathischen Entgegnung mir zu überlassen, wie unsere Bekanntschaft sich weiterentwickelte.
Den Ball nahm ich auf: »Hallo, ich bin die Britta, Nachnamen gibt’s bei Mäusen nicht, ich bin vier Jahre alt und meine Hobbys sind Musik, Lesen, was mit Menschen und Nachdenken.«
»Und ich bin die Polly, bin elf Jahre alt, gehe in die fünfte Klasse, spiele Schlagzeug bei meinem Freund Ben – hier zu Hause muss ich Klavier spielen, haste vielleicht unten stehen sehen. Tja, meine Hobbys sind mein Verein, den ich mit ein paar Freunden gegründet hab, und ..., nee, sonst im Moment nix mehr. Das reicht echt.«
»Was macht ihr denn da, in diesem Verein?«, fragte ich. Mit Rosa war man in dem Alter schon durch und mit Schuhen noch nicht dran, zu welchem Thema vereinte man sich also als Elfjährige?
Sie setzte sich aufrecht hin, straffte die Schultern, und das kleine feste Kinn wurde dabei noch fester: »Das ist eine längere Geschichte. Wir haben da eine richtig große Sache vor, meine Freunde und ich! Angefangen hat das, als der Ben in der ersten Woche auf der neuen Schule mal in der Pause erzählt hat, dass seine Eltern mit der Umstellung überhaupt nicht klarkamen. Jetzt mussten die eine halbe Stunde früher raus als in der Grundschule und: voll die Krise. Jeden Morgen Mega-Stress mit Frühstück und Anziehen, und in der vierten Woche hat der Ben das alles total entnervt selber in die Hand genommen. Der macht sich jetzt sein Frühstück selber und geht so aus dem Haus, dass er meistens pünktlich ist. Die Eltern von dem sagen jetzt immer überall, wie toll selbstständig er wäre und so weiter, aber ist natürlich trotzdem klar: abgeloost, Leute! Ihr kriegt’s nicht hin. Aufstehen und Frühstück machen und bis dahin nicht rumbrüllen, das kriegt ihr nicht hin! Und als der Ben das mal erzählt hat, da hat die Mara dann erzählt, dass das bei der genauso ist und dass sie jeden Morgen erst mal total am Heulen ist, bevor der Tag richtig losgeht. Und die Mara, die redet nämlich voll superminiwenig. Bis die mal was sagt?! Der kannste alle Haare einzeln ausreißen, da sagt die immer noch nix, ich schwöre! Sooo dämlich müssen der ihre Eltern also sein!
Und dann haben wir da mit mindestens sechs Mann auf‘m Schulhof gestanden und bei allen: total Stress mit Mutter oder Vater oder mit beiden. Und dann hab ich gesagt, dass ich bei meiner Klavierlehrerin gesehen hab, dass die hinter ihrem Haus ’ne Garage hat, die die gar nicht benutzt, weil die hat vor ihrem Haus auch nochmal 'ne Garage, und dass wir uns da bestimmt nachmittags treffen können und einen Verein gründen, und das kriegt gar keiner mit, weil die Garage liegt so ab vom Schuss irgendwie, und dann packen wir mal alle aus über unsere Eltern. Und dann haben wir das gemacht. Das war so krass, wir treffen uns jetzt jeden Dienstag um vier bei der in der Garage.«
Polly hatte ganz rote Wangen bekommen, und dass sie den Rest der Nacht noch mal zum Schlafen kommen würde, konnte ich mir nicht vorstellen, so aufgeregt schien sie mir. Allerdings konnte ja das Ableisten von derart viel Text auch erschöpfend wirken.
»Willste mal mitkommen dienstags? Wenn wir uns treffen? Das ist cool! Da ist auch der Paul dabei, der ist hammerlustig. Der ist Legastheniker, da sind
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