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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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Jugend forscht nicht zusammenbricht.
    Zwei Gigabyte, so viel Speicherplatz brauchen nur Filme und Bilder. Aber in meinem Projektbericht gibt es nur Tabellen und Zeichnungen. Ich beiße mir vor Aufregung auf die Lippen.
    Sorgfältig gehe ich Seite für Seite durch, um nur ja nichts zu übersehen, und mit jeder Seite werde ich trauriger, denn es ist wirklich nur der originale Projektbericht ohne eine einzige Anmerkung von meiner Schwester.
    Aber dann komme ich zu den Schlussfolgerungen und dort stoße ich dann auf den Grund, warum die Datei so groß ist. Sofort ist meine Enttäuschung wie weggeblasen. Lina hat in den Projektbericht Bilder integriert, die durchnummeriert sind, von AT 1 bis AT 7. AT-argatis, nehme ich mal an.
    Mit klopfendem Herzen schaue ich mir das erste an, AT 1. Es zeigt einen großen Bankettsaal mit leeren Tischen, der gerade mit Luftballons und Girlanden geschmückt wird. Auf dem Bild sind einige Schüler aus Linas Klasse zu sehen, ich erkenne Gretchen und ein paar Luises, aber auch Dennis und Alex und dann noch Victor und Isabel aus der Astrogruppe. Victor steht auf der Leiter, macht eine Grimasse und hält sich eine lilafarbene Girlande wie einen mächtigen Schnauzbart ins Gesicht.
    AT 2 ist ein Bild des fertig geschmückten Saals. Reichlich spießig, lilafarbene und goldene Girlanden, Hunderte von Luftballons und scheußlich stachlig wirkende Blumengestecke in Dunkelrosa, die auf weißen Tischdecken drapiert sind. Dazu weißes Porzellan, viele Gläser.
    Im Vordergrund eine Gruppe von den Leuten, die man auf dem vorherigen Bild beim Dekorieren gesehen hat, sie stehen dicht beieinander und lächeln in die Kamera.
    Die Jungs tragen jetzt Anzug mit Hemd und Krawatte und die Mädchen festliche Kleider. Lina ist auch mit auf dem Bild, sie steht zwischen Alex und Dennis und sieht sensationell gut aus. Obwohl Gretchen in einem mit Glitzerperlen bestickten Korsagenkleid direkt in der Mitte mit einem Kussmund posiert und sehr hübsch rüberkommt, muss man einfach zu Lina hinschauen, die fast am Rand steht. Ihre Augen leuchten und ihr schwarzes Kleid, das an Armen und Dekolleté mit Spitze untersetzt ist, betont ihre makellose Sanduhrfigur. Ihre duftigen dunkelblond schimmernden Haare hat sie locker aufgesteckt, nur vorne fällt eine Locke in ihr Gesicht, was bei anderen lächerlich aufgesetzt ausgesehen hätte, bei ihr aber unglaublich sexy wirkt.
    Oh Gott, sie wirkt so glücklich und lebendig, unfassbar. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht schon wieder zu weinen, doch es ist unerträglich, sie so glücklich zu sehen und zu wissen, dass sie tot ist. Und so verschwimmt Lina vor meinen Augen, zerfließt zu einer Unterwasserfee und ich wünsche mir so sehr, sie wäre jetzt hier bei mir und ihr Tod nur ein dummer Albtraum.
    Ich brauche ziemlich lange, bis ich in der Lage bin, mir die nächsten Bilder anzuschauen.
    Auf den Bildern drei und vier sieht man, wie etwa fünfzig Leute festlich gekleidet an den Tischen sitzen. Ein mehrgängiges Menü wird serviert, auf der Bühne spielt eine Drei-Mann-Combo in hellblauen Anzügen.
    Auf dem fünften Bild sind die Tische bis auf die Gläser abgeräumt. Die Kamera hält auf die Bühne, wo ein dicker kleiner Mann im Anzug einen überdimensionierten Pappscheck an Alex überreicht. Alle Leute sind von ihren Stühlen aufgestanden und applaudieren.
    Das sechste Bild zeigt eine Tiefgarage. Die Jungs tragen noch immer Anzug, doch die Krawatten sind jetzt gelockert, ihre Augen groß und ihre Wangen knallrot. Lachend und feixend versuchen sie, den übergroßen Scheck in einen schwarzen BMW zu kriegen, der dort geparkt ist.
    Und dann – ohne Übergang und ohne Vorwarnung – kommt das Bild Nummer sieben, das Foto vom toten Kimoni, das Alex so brutal zerrissen hat. Im Kontrast mit den Bildern von vorher wirkt es noch grauenhafter.
    Die Fragen rasen nur so durch meinen Kopf. Warum sind die Bilder des Abendessens hier versteckt? Hat Lina sie nur dazu benutzt, das eigentliche Foto, um das es ihr ging, zu verstecken? Aber das hätte etwas von diesen russischen Puppen, wo immer noch eine in der nächsten versteckt ist: Kimoni zwischen den Galafotos, die Galafotos im Atargatisbericht, der wieder im Referatordner auf dem Computer. Nein, meine Schwester hat nicht so kompliziert und um die Ecke gedacht, wie ich das manchmal tue. Jedenfalls damals, als wir noch miteinander geredet haben. Damals. Ich unterdrücke ein Aufschluchzen, denn jetzt habe ich Lina vor Augen, so wie ich sie zum

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