Dann mach ich eben Schluss
kann das auch psychische Gründe haben, das ist ja der Hammer, was du gerade durchmachst. Wir können hier weggehen, wenn du willst. Möchtest du nach Hause?«
»Bloà nicht«, gibt Natalie zurück. »Nein, lass uns weitergehen, irgendwohin, aber nicht nach Hause. Da erschlägt mich alles, seit ich aus dem Krankenhaus entlassen bin.«
Sie schlendern auf die StraÃe zurück. Der Feierabendverkehr ist durch, nur noch vereinzelt passieren Autos in gemäÃigtem Tempo die NebenstraÃen. Neben einem Springbrunnen halten sie an, blicken um sich und setzen sich schlieÃlich auf eine Bank. Eine Weile lauschen sie stumm dem Plätschern der Wasserfontänen, Natalie vergewissert sich, dass es ihre Kopfschmerzen nicht verstärkt, stellt aber fest, dass es geht.
»Eine oberflächliche Schickse passt nicht zu deinem Bruder, wenn er Künstler ist«, äuÃert Jonathan schlieÃlich. Es tut Natalie gut, wie er von Max in der Gegenwart spricht, anders als ihre Mutter, die das auch tut und dann nach jedem zweiten Satz in sich zusammensackt und weint, weil die Erkenntnis, dass er nicht mehr da ist, sie immer noch übermannt. Bei Jonathan zieht es sie nicht runter.
»Das habe ich ihm auch gesagt, und ich wollte ihm immer Mut machen, sich von ihr zu trennen. Ich hab gehofft, er schafft es von allein ⦠Mir war so vieles nicht klar, ich hatte mit mir selber zu tun. Ich hätte mehr für ihn da sein sollen.«
»Bist du nicht die Jüngere von euch beiden?«
»Eben. Aber Max war ein ganz anderer Typ als ich. Ich lasse mir so leicht nichts sagen, nicht mal von meinem Vater, der immer meint, er muss uns herumkommandieren wie seine Angestellten. Deshalb musste ich oft für Max kämpfen.«
Jonathan grinst und lässt seinen Blick über Natalies Kleidung gleiten. »Dann eckst du bestimmt oft bei deinem Dad an.«
Natalie zuckt mit den Achseln. »Selbst wenn ich mir einen Hühnerknochen durch die Nase jagen wollte, wär das meine Sache, aber so weit gehe ich gar nicht. Ich trage halt meine schwarze Lederjacke und schnippel hier und da ein bisschen an meinen Shirts rum, hab eben meistens was Schwarzes an und bemale mein Gesicht entsprechend. Aber ich spiele Saxofon in einer Rockband, da läuft man nun mal nicht rum wie Kaiserin Sissi.«
»Saxofon in âner Rockband.« Jonathans Augen weiten sich. »Respekt, Respekt. Dann ist es ja klar, dass du dich nicht nur um deinen Bruder kümmern kannst.«
»Aber das ist genau das Problem. Max war so still, so unauffällig, der ist immer irgendwie dabei gewesen, ohne groà aufzufallen. Er rutschte überall so mit durch, kämpfte nicht, legte sich mit niemandem an.«
»Dann ging es ihm vielleicht schon länger beschissen, nicht nur an dem Abend, bevor er gegen den Baum gerast ist«, vermutet Jonathan.
»Aber ich habe es nicht bemerkt; jedenfalls nicht, wie krass es wirklich war. Er hat mich ja manchmal genervt, weil er immer so unentschlossen und zögerlich war.«
»Das ist verständlich. Immerhin ist er der Ãltere, eigentlich hätte er für dich da sein müssen, als groÃer Bruder.«
»Zwischen uns lagen nur zwei Jahre und zwei Monate. Darum geht es auch nicht, ich bin kein Baby mehr, ich beiÃe mich schon selber durch. Aber beim letzten Mal hätte ich ihn nicht abwimmeln sollen.«
»Was war da los?«
Natalie schweigt. Maxâ Gesicht taucht wie ein Blitzlicht vor ihr auf, seine Hand, die sich fest um den Türrahmen krallt, es war der Eingang zum Musiksaal, seine Augen angsterfüllt, er hatte eine Nachricht bekommen, musste dringend nach Hause, wollte sie bei einem Gespräch mit dem Vater dabeihaben. Natalie hatte abgelehnt, war mitten in einer Probe mit dem Schulorchester, es ging einfach nicht. Es hätte gehen müssen.
»Ich kann nicht darüber reden«, sagt sie schlieÃlich. »Alles kommt wieder hoch. Wenn ich für Max da gewesen wäre, könnte er noch leben.«
»Es lag nicht nur an dir«, erwidert Jonathan. »Wenn sich einer was antut, gibt es nie nur einen einzigen Grund dafür. Du sagst, Max war still und unauffällig â da übersieht man leichter etwas als bei einem Menschen, der sein Herz auf der Zunge trägt. Mach dir keine Vorwürfe.«
»Trotzdem. Er ist tot, verstehst du? Niemand hat gewusst, wie es in ihm aussah, und das in der eigenen Familie, im Freundeskreis. Das ist
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