Danse Macabre
ihr?«
Der Junge sah ihn argwöhnisch an und legte den Kopf
schief. Dann entschloß er sich offensichtlich, Don vertrauenswürdig zu finden, beugte sich vor und flüsterte hinter
vorgehaltener Hand, als handle es sich um ein finsteres Geheimnis: »Weil sie ekelhaft ist.«
Ein anderes Thema, das sich durch beide Romane zieht - ein
sehr an Henry James erinnerndes Thema -, ist die Vorstellung, daß Gespenster letztendlich die Motivationen und möglicherweise sogar die Seelen derer annehmen, die sie erblikken. Wenn sie böse sind, dann kommt ihre Bösartigkeit von
uns. Straubs Figuren erkennen selbst in ihrem Entsetzen
diese Verwandtschaft. Seine Gespenster sind in ihrer Erscheinung, wie die Gespenster, die James, Wharton und M. R.
James heraufbeschworen, Freudianischer Natur. Erst bei
ihrem endgültigen Exorzismus werden Straubs Gespenster
wirklich unmenschlich - Sendboten der Welt des »äußeren
Bösen«. Als Julia Mona nach dem Namen des Mädchens
fragt, das die Schildkröte getötet hat, nennt Mona ihr ihren
eigenen Namen (»Dschulia«, sagt sie). Und als DonWanderley in Ghost Story herauszufinden versucht, wer das unheimliche kleine Mädchen ist, schließt sich folgende beunruhigende Unterhaltung an:
»Okay, versuchen wir es noch einmal«, sagte er. »Wer bist
du?«
Seit dem Augenblick, da er sie in den Wagen genommen
hatte, lächelte sie zum ersten Mal richtig. Es ging eine Verwandlung mit ihr vor, die aber nicht von der Art war, daß es
ihm leichter ums Herz wurde; sie sah um nichts weniger erwachsen aus. »Du weißt es«, sagte sie.
Er blieb hartnäckig. »Was bist du?«
Sie lächelte, während sie ihm die erstaunliche Antwort
gab:
»Ich bin du.«
»Nein. Ich bin ich. Du bist du.«
»Ich bin du.«
Auf den ersten Blick ist Ghost Story eine extravagante Mischung aus sämtlichen Horror- und Schauerroman-Konventionen, die jemals in den B-Filmen zu sehen waren, über die
wir vor kurzem gesprochen haben. Es gibt Verstümmelung
von Tieren. Es gibt dämonische Besessenheit (Gregory Bate,
ein Schurke von zweitrangiger Bedeutung, fällt über seine
jüngere Schwester her, die entkommt, und seinen jüngeren
Bruder …, dem das nicht gelingt). Es gibt Vampirismus, ghulisches Verhalten (im wahrsten Sinne des Wortes; Gregory
labt sich an seinen Opfern, nachdem sie tot sind) und Werwölfigkeit der einmaligsten und furchteinflößendsten Art. Doch
alle diese angsteinflößenden Legenden sind lediglich die äußere Schale des wahren Herzens des Romans, wo eine Frau
steht, die Eva Galli sein könnte … oder Alma Mobley …
oder Anna Mostyn … oder möglicherweise ein kleines Mädchen in einem schmutzigen rosa Kleid, dessen Name angeblich Angie Maule ist. Was bist du? fragt Don. Ich bin du, antwortet sie. Und dort scheint der Herzschlag dieses außergewöhnlichen Buches am stärksten zu sein. Was ist denn schon
ein Gespenst, das uns so Angst macht, anderes als unser eigenes Gesicht? Wenn wir es ansehen, dann ergeht es uns wie
Narziß, der so von der Schönheit seines eigenen Spiegelbildes betroffen war, daß er das Leben verlor. Wir fürchten das
Gespenst aus denselben Gründen wie den Werwolf: es ist
jener tief in uns verborgene Teil von uns, der nicht von weltlichen, apollinischen Einschränkungen gehindert wird. Er
kann durch Wände gehen, verschwinden, mit den Stimmen
von Fremden sprechen. Es ist der dionysische Teil von uns …,
aber es ist dennoch wir.
Straub scheint sich bewußt zu sein, daß er einen Korb trägt,
der übervoll mit Horror ist, und diese Tatsache macht er sich
auf großartige Weise zunutze. Die Personen selbst haben den
Eindruck, als wären sie in eine Horror-Story hineingeraten;
der Protagonist, Don Wanderley, ist ein Verfasser von HorrorStories, und in der Stadt Milburn, New York, die zur Welt des
Romans wird, haben wir die kleinere Welt von Clark Mulligans Rialto-Kino, in dem im Verlauf des Buches ein HorrorFilm-Festival stattfindet: ein Mikrokosmos innerhalb des Makrokosmos. In einer Schlüsselszene des Buches wirft Gregory
Bate einen der »Guten« des Buches, den jungen Peter
Barnes, durch die Leinwand, während Night of the Living
Dead in dem leeren Kino läuft. Die Stadt Milburn ist eingeschneit und von den lebenden Toten überrannt worden, und
an diesem Punkt wird Barnes buchstäblich in den Film hineingeworfen. Es sollte nicht funktionieren; es sollte übertrieben
und niedlich wirken. Aber Straubs kontrollierter Stil bringt es
zum Funktionieren. Es bewahrt Straubs Spiegelkabinett-Vorgehen (drei
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