Danse Macabre
Roman Julia (dt: Julia). Es war nicht sein erster Roman; zwei Jahre vorher
hatte er einen nichtphantastischen Roman mit demTitel Marriages (dt: Die fremde Frau) veröffentlicht - eine Art »Soleben-wir-heute«-Geschichte. Wenngleich Straub Amerikaner ist, lebten er und seine Frau zehn Jahre in England und Irland, und Julia ist in Absicht und Ausführung eine englische
Gespenstergeschichte. Schauplatz der Handlung ist England, die meisten Personen sind Engländer, am wichtigsten
aber, die Diktion des Romans ist englisch - kühl, rational,
beinahe losgelöst von jeglicher emotionaler Basis. Das Buch
enthält keinen Hauch des Grand Guignol, wenngleich die
entscheidendste Situation des Buches sicherlich darauf hindeutet: Kate, die Tochter von Julia und Magnus, erstickt an
einem Stück Fleisch, und Julia tötet ihreTochter, während sie
versucht, mit einem Küchenmesser einen Luftröhrenschnitt
durchzuführen. Das Mädchen, so scheint es, kehrt dann als
rachesuchender Geist zurück.
Den Luftröhrenschnitt bekommen wir nicht in Einzelheiten präsentiert - das Blut, das die Wände und die Hand der
Mutter bespritzt, das Entsetzen und die Schreie. Das ist Vergangenheit; wir sehen es in reflektiertem Licht. Viel später
sieht Julia das Mädchen, das Kates Geist sein könnte, oder
auch nicht, etwas im Sand begraben. Als das Mädchen gegangen ist, gräbt Julia das Loch auf und findet zuerst ein Messer
und dann den verstümmelten Kadaver einer Schildkröte.
Diese Reflektion des schiefgegangenen Luftröhrenschnittes
ist elegant, aber sie hat wenig Hitze.
Zwei Jahre später veröffentlichte Straub seinen zweiten
übernatürlichen Roman, If You Could See Me Now (dt: Wenn
du wüßtest …). Wie Julia ist auch If You Could See Me Now ein Roman, der sich mit der Vorstellung des Rächers beschäftigt, eines rachesuchenden Geistes aus der untoten Vergangenheit. Straubs sämtliche übernatürliche Romane funktionieren effektiv, wenn sie sich mit diesen alten Geistern beschäftigen; es sind Geschichten von der Vergangenheit, die
auf unheilvolle Weise auf die Gegenwart einwirkt. Man hat
schon gesagt, daß ROSS McDonald eher gotische Schauerromane als Detektivromane schreibt; man könnte sagen, Peter
Straub schreibt eher gotische Schauerromane als Horror-Romane. Was seine Leistungen in Julia, If You Could See Me
Now und besonders in Ghost Story so herausragend macht, ist
seine Weigerung, die gotischen Konventionen als statisch zu
betrachten. Alle drei Bücher haben vieles mit den klassischen
gotischen Schauerromanen des Genres gemeinsam The
Castle of Otranto (dt: Die Burg von Otranto bzw. Schloß
Otranto), The Monk (dt: Der Mönch), Melmoth the Wanderer (dt: Melmoth der Wanderer), sogar Frankenstein (auch wenn Frankenstein, was die Erzählweise anbelangt, weniger gotisch und mehr ein moderner Horror-Roman als Ghost-Story ist) -, sie alle sind Bücher, in denen die Vergangenheit schließlich wichtiger als die Gegenwart wird.
Man sollte meinen, für Leute, die historische Studien als
nützlich betrachten, sollte das ein hinreichend vernünftiger
Kurs sein, dem der Roman folgen sollte, aber der gotische
Schauerroman wurde stets als Kuriosität betrachtet, ein unbedeutendes Rädchen in der großen Maschine der englischsprachigen Literatur. Straubs erste zwei Romane scheinen
mir unbewußte Versuche zu sein, etwas mit diesem Rädchen
anzufangen; was Ghost Story davon unterscheidet und zu
einem so enormen Erfolg macht, ist die Tatsache, daß Straub
bei diesem Buch begriffen zu haben scheint - bewußt begriffen -, worum es in der Schauerromantik geht und wie sie mit
dem Rest der Literatur zusammenhängt. Anders ausgedrückt, er hat herausgefunden, was dieses Rädchen machen
soll, und Ghost Story ist eine außerordentlich unterhaltende
Bedienungsanleitung.
»[Ghost Story] entstand als Folge der Tatsache, daß ich
sämtliche amerikanische Literatur des Übernatürlichen gelesen hatte, die ich finden konnte«, sagt Straub. »Ich las Hawthorne und James, dann besorgte ich mir alle Bücher von
Lovecraft und der anderen aus seinem >Kreis< - ich wollte herausfinden, in welcher Tradition ich schrieb, weil ich da schon
ziemlich tief im Genre steckte -, dann las ich Bierce, Edith
Whartons Geistergeschichten, viele der Europäer … Als erstes dachte ich mir, daß ich eine Gruppe alter Männer haben
wollte, die einander Geschichten erzählten - dann hoffte ich,
daß ich ein Mittel finden würde, diese Geschichten alle miteinander zu verbinden. Ich mag es
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