Danse Macabre
unterscheidet sich nicht so sehr von dem Gesicht,
das Sie und ich jeden Morgen im Badezimmerspiegel sehen.
Dann aber brach er plötzlich in flammenden Zorn aus,
stampfte mit seinem Fuß, schwang seinen Stock und benahm sich (…) wie ein Verrückter. Der alte Herr trat einen
Schritt zurück, er sah überrascht und ein wenig gekränkt
aus. Jetzt aber überwand Hyde alle Hemmungen und
schlug ihn zu Boden. Im nächsten Augenblick trampelte er
mit der Wut eines Affen mit seinen Füßen auf dem Opfer
herum und ließ ein ganzes Gewitter von Schlägen auf ihn
niedersausen, unter denen die Knochen hörbar zersplittert
wurden, und der Körper wand sich auf dem Pflaster. Vor
Schrecken über das, was sie da sah und hörte, wurde das
Mädchen ohnmächtig.
Was hier noch fehlt, um den Reißer der Regenbogenpresse
vollkommen zu machen, wäre die an eine Mauer in der Nähe
gekritzelte Parole LITTLE PIGGIES - » KLEINE SCHWEINCHEN «
oder HELTER SKELTER - » HALS ÜBER KOPF «, mit dem Blut des
Opfers geschrieben. Stevenson informiert uns weiter: »Der
Stock, mit dem man die Tat begangen hatte, war, obwohl er
aus einem sehr seltenen, sehr harten und zähen Holz bestand, unter der Wucht dieser sinnlosen Grausamkeit in der
Mitte auseinandergebrochen. Die eine der zersplitterten
Hälften war in die Gosse gerollt …«
Stevenson beschreibt Hyde hier, wie an anderer Stelle, als
»von der Wut eines Affen« ereilt. Er deutet an, daß Hyde, so
wie Michael Landen in / Was a Teenage Werewolf, ein Schritt
zurück auf der Leiter der Evolution ist, etwas Böses in der
menschlichen Natur, das noch nicht ausgebrütet worden
ist …, und macht uns das beim Mythos des Werwolfs nicht
wirklich Angst? Dies ist der wahrhaftige innere Böse, und es
verwundert nicht, daß Geistliche zu Stevensons Zeit seine
Geschichte hochachteten. Sie erkannten eine Parabel offenbar, wenn sie eine lasen, und sahen in dem brutalen Mord an
Sir Danvers Carew den ungehindert hervorbrechenden alten
Adam. Stevenson deutet an, daß das Gesicht des Werwolfs
unser Gesicht ist, und das nimmt Lou Costelles berühmter
Antwort an Lon Chaney jr. in Abbott and Costellos Meet Frankenstein einiges von ihrem Humor. Chaney spielt den verfolgten, die Häute wechselnden LarryTalbot und beklagt sich bei
Costello: »Sie verstehen nicht. Wenn der Mord aufgeht, verwandle ich mich in einen Wolf.« Costello antwortet: »Ja …,
Sie und etwa fünf Millionen andere Burschen.«
Wie dem auch sei, die Ermordung Carews führt die Polizei
zu Hydes Wohnung in Soho. Der Vogel hat das Nest verlassen,
aber der Inspektor von Scotland Yard, der die Ermittlungen
leitet, ist sicher, daß sie ihn erwischen werden, weil Hyde sein
Scheckheft verbrannt hat. »Wir brauchen nichts zu tun, als
vor der Bank auf ihn zu warten.«
Aber Hyde hat natürlich eine andere Identität, in die er
sich verwandeln kann. Jekyll, den die Angst schließlich vernünftig gemacht hat, beschließt, den Trank nie wieder einzunehmen. Dann stellt er zu seinem Entsetzen fest, daß die Verwandlungen anfangen, spontan aufzutreten. Er hat Hyde geschaffen, um den Einschränkungen der Anstandsformeln zu
entkommen, doch er muß feststellen, daß das Böse seine eigenen Einschränkungen hat; zuletzt ist er Hydes Gefangener
geworden. Die Kirche lobte Jekyll and Hyde, weil sie
glaubte, das Buch zeige die schrecklichen Folgen, die eintreten, wenn man der »niederen Natur« des Menschen auch nur
den geringsten Spielraum läßt; moderne Leser sind eher geneigt, Jekyll als einem Mann Sympathien entgegenzubringen, der einen Ausweg - wenn auch nur für kurze Zeit - aus
der Zwangsjacke viktorianischer Prüderie und Moral suchte.
Wie auch immer, als Utterson und Jekylls Butler Poole in Jekylls Laboratorium einbrechen, ist Jekyll tot …, und sie finden den Leichnam von Hyde. Das schlimmste aller Grauen
ist eingetreten; der Mann starb, als er wie Jekyll dachte und
wie Hyde aussah, die geheime Sünde (oder das Mal des Tieres, wenn Sie so wollen) ist seinem Gesicht unauslöschbar
aufgeprägt. Er beschließt seine Beichte mit den Worten:
»Hier also beschließe ich, indem ich die Feder weglege und
mich daran mache, mein Bekenntnis zu versiegeln, das
Leben des unglücklichen Henry Jekyll.«
Es fällt leicht - zu leicht -, die Geschichte von Jekyll und
seinem bösartigen Alter ego als religiöse Parabel zu sehen,
die
in der Sprache der Groschenhefte geschrieben ist. Sicher, es
ist eine moralische Geschichte, aber ich finde, es ist auch eine
eingehende Studie
Weitere Kostenlose Bücher