Darf’s einer mehr sein?
werden.
Zwischen diesen beiden läuft alles friedlich.
H unde ganzheitlich betrachten
Dass es nicht um Gerechtigkeit geht, sondern darum, jedem einzelnen Hund gerecht zu werden, ist für uns gleichzeitig der Ausgangspunkt für die Lösung möglicher Probleme in einer Hundegroßfamilie. Aus Sicht der überholten Dominanztheorie ist eine Lösung für Probleme schnell gefunden: Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten, muss der Mensch in verschiedenen Situationen seine Führungsrolle besser ausfüllen, und alles wird gut. In der Regel soll dies bedeuten, die Hunde in bestimmten Bereichen mehr einzuschränken und zu begrenzen. Damit es keine Missverständnisse gibt: Wir sind für Grenzen in der Hundeerziehung, die sich aus der natürlichen Verantwortlichkeit des Menschen für das Wohlbefinden seiner Vierbeiner ergeben, vor allem im Zusammenleben mit mehreren Hunden. Wir setzen Grenzen hauptsächlich, indem wir organisatorische Mittel nutzen und den Hunden mithilfe positiver Trainingstechniken beibringen, dass es sich lohnt, auf der richtigen Seite der Grenze zu bleiben. Aber die Umsetzung eines Begrenzungskonzepts aus dominanztheoretischer Sicht erfordert in der Praxis einen konfrontativen statt kooperativen Umgangsstil vom Hundebesitzer. Dies ist mit einem Verlust an Beziehungs- und Lebensqualität für beide Seiten, nämlich Hunde und Menschen, verbunden.
Hunde und ihre Probleme aus einem eher ganzheitlichen Blickwinkel zu betrachten, rückt einen neuen Aspekt in den Fokus, nämlich den der Potenzialentfaltung. Jeder einzelne Hund in der Gruppe lebt in einem Gefüge aus Geborgenheit und Freiheit. Er ist einerseits an den Menschen gebunden und abhängig von ihm. Dies schränkt ihn ein, vermittelt aber gleichzeitig das Sicherheitsgefühl, das nötig ist, um die Freiheit zu genießen. Für einen Hund bedeutet Freiheit vor allem die Möglichkeit, seine Umwelt zu erkunden und seiner Neugier nachzugehen. Dabei will er seine individuellen Talente nutzen, die er in rassetypischer, aber durchaus auch ganz persönlicher Weise mitbringt. Die Chance, Talente und Stärken nutzen, entwickeln und ausleben zu können, ist das, was jeder einzelne Hund zur Entfaltung seiner Persönlichkeit braucht. Dies zu dürfen führt auf zwei Ebenen zu Wohlbefinden: einmal zu einem globalen Zufriedenheitsgefühl und zum anderen zu einem ganz konkreten Lustempfinden beim Ausleben eines Talents, was mit der Ausschüttung verschiedener Botenstoffe, der sogenannten Glückshormone, zusammenhängt.
Jeder Hund in der Familie ist anders. Corry hat keine Lust auf Mitspielen und bekommt seinen Spaß bei anderen Gelegenheiten.
Es ist also nötig, die Individualität jedes seiner Hunde zu sehen und seine Bedürfnisse zu kennen. Was ist genau diesem einen Hund wichtig? Was braucht genau er zur Potenzialentfaltung? Sich immer wieder darauf zu fokussieren hilft zum Beispiel, beim Zweithund eine Überkompensation zu problematischen Verhaltensweisen des Ersthundes zu vermeiden oder dabei, den Hund nicht mit bestimmten Bespaßungsprogrammen wie Kopfarbeit, Sport und Spiel über- oder schlicht an seinen Bedürfnissen vorbei zu animieren. Potenzialentfaltung macht einen entscheidenden Teil des Wohlfühlbudgets eines Vierbeiners aus, wodurch kleinere und größere Entbehrungen des Alltags unwichtig werden.
Beispiel: Zoff unter Hunden
Wenn es zwischen zwei Hunden in der Familie richtigen Ärger gibt, sie immer wieder übereinander herfallen oder es sogar zu heftigen Beißereien kommt, ist das so ziemlich der Super-GAU für Mehrhundehalter. Um diesen Ernstfall einzuschätzen und Lösungsansätze zu entwickeln, benutzen wir das EMRA-Modell (Emotional-Moodstate- & Reinforcement-Assessment) des englischen COAPE Instituts, das auf drei Ebenen ansetzt: Gesucht wird eine Einschätzung des emotionalen Zustands in der Problemsituation, eine Einschätzung der allgemeinen Stimmung, also sozusagen des Wohlfühlbudgets, und eine Einschätzung der Verstärker, die das Verhalten aufrechterhalten.
Jede dieser Einschätzungen ist individuell, und da zwei Hunde beteiligt sind, muss sie auch für beide erfolgen. Im Gegensatz zu standardisierten Pauschaldiagnosen wie „Dominanzaggression“, „territoriale Aggression“ oder „Ressourcenverteidigung“ eröffnet diese Herangehensweise genau auf den Einzelfall abgestimmte Handlungsmöglichkeiten.
Beginnen wir mit der Ursachenforschung: Warum ist es zu diesen Beißereien gekommen? Versucht man die Verstärker
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