Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
ein Ende setzt.
»Ich gebe dir meine Seele nicht!« Das sind ihre letzten Worte und ihr Lächeln wird selbst im Tod noch an Vincentas Lippen haften.
Sie bleibt stehen, als sie den Hirsch zwischen den Baumstämmen entdeckt. Er dreht den Kopf zu ihr und sieht sie mit riesigen Augen an, die großen, samtenen Ohren aufmerksam zu ihr gerichtet. An seinen Läufen klebt gefrorener Schnee. Er wittert in ihre Richtung, als würde er sich ihren Geruch einprägen wollen, dann springt er lautlos zurück in den Wald.
Endlos dehnt sich hier der Wald. Bis zu den Bergen und noch weiter. Ein Gewirr aus dunklen, mächtigen Tannen, umgestürzten Stämmen und Buschwerk, das sich darunter ausbreitet und in dem die wilden Tiere Schutz suchen. Sie ist selbst wie ein Tier. Ein Tier, das sich verstecken muss, das auf der Flucht ist. Manchmal will sie nicht mehr zurückkehren und auch nicht mehr davonlaufen. Sie will die Verantwortung abstreifen, wie ein zu eng gewordenes Kleid. Wenn sie es könnte, würde sie das Kleid am Rücken entzweireißen. Mit einem Ruck. Stattdessen läuft sie wieder stundenlang im Wald umher und flieht vor ihren Gedanken. Sie versucht, sich auf die Rufe der Vögel zu konzentrieren und auf das Knacken der Äste, die unter der schweren Last des Schnees brechen. Dann findet sie kurz Ruhe, kurz, bevor sich der nächste klare Gedanke in ihren Kopf schneidet.
Hinter ihr bricht der Tag an. Sie hört die Geräusche des Lagers, Stimmen, Menschen, die sich etwas zurufen, und das Bellen der Hunde. Jemand schüttet eine Wasserschüssel aus, sie hört es hart auf den Schnee klatschen, und als sie sich umwendet, sieht sie den Dampf aufsteigen und sich im heller werdenden Morgenhimmel verlieren. Sie weiß, dass sie jetzt umkehren und zum Lager zurückgehen muss. Vom Wald aus sieht es geduckt aus, mit dem Rücken an den jäh aufsteigenden Fels geschmiegt. Wenn Cheb sie nicht in ihrem Wagen findet, wird er die Männer losschicken. Er wird Chakal losschicken, seinen Sohn. Sie wird zurückgehen und es ihm sagen müssen.
Sie wird ihn vor ihrem Wagen treffen, die Hand auf den Stock mit dem silbernen Wolfskopf gestützt, sein weiß gesträhntes Haar streng zurückgekämmt und im Nacken zu einem kurzen Zopf gebunden.
Wir sind alt geworden, wird sie sich denken und ihre Hand heben, um ihre Kapuze abzustreifen.
Die Zeit hat sich hart in ihre Gesichter gegraben.
»Cheb«, wird sie sagen, »ich werde sterben. Zur Wintersonnwende werde ich sterben.«
1
Dawna
I ndie ist eingeschlafen. Gerade haben wir noch miteinander geredet, leise, als könnten wir mit unseren Worten das Böse wirklich wecken. Vorsichtig. Tastend.
»Werden sie noch heute Nacht kommen?«, hatte Indie geflüstert.
Ich hatte Nein gesagt, obwohl ich mir nicht sicher war und obwohl ich selbst ganz schreckliche Angst davor hatte, dass sie hierherkamen. Um Miley zu holen. Um uns zu holen.
»Wir sind doch sicher, hier sind wir sicher. Auf Whistling Wing.«
»Sie kommen ganz bestimmt nicht«, hatte ich geflüstert.
Dann ist ihr Kopf langsam auf die Tischplatte gesunken und jetzt atmet sie ruhig. Ihr rotes Haar fließt über ihre Arme, ab und zu flattern ihre Augenlider. Sie träumt. Ich bin froh, dass wenigstens Indie etwas Ruhe findet. Ich lege ihr Mums Strickjacke über die Schultern und gehe zum Fenster. Draußen ist es so dunkel, dass ich nicht einmal bis zur Scheune hinübersehen kann. Einzelne Schneeflocken taumeln auf die Veranda. Mehr kann ich nicht erkennen. Aber ich weiß auch so, dass sie noch da sind. Die Comtesse und Kat und Miss Anderson. Alles an mir ist eiskalt. Ich schleiche an Indie vorbei, schließe leise die Tür hinter mir und steige die Treppen hoch. Alle sind zu Bett gegangen. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, ich ahne nur, dass es nicht mehr weit bis zum Morgen ist. Dass es nicht mehr lange dauert, bis die Nacht sich wendet und wieder zum Tag wird. Ich lasse die knarzende Treppenstufe aus, um niemanden zu wecken, und schlüpfe ins Badezimmer. Die Fliesen mit dem Rosenmuster, die ich als Kind endlos ansehen konnte. Die Badewanne mit den Löwenfüßen, in die Granny uns nach einem Tag im Staub und Dreck gesteckt hatte. Damals war alles so einfach. Mit Granny war alles so einfach.
Ich will mich nicht im Spiegel ansehen, ich will nicht in meine Augen blicken, die groß und dunkel sind, und mir das, was passiert ist, wieder und wieder erzählen werden.
Du hast Miley gerettet.
Du hast Samael entbannt.
Ich werde mir nie wieder in die Augen
Weitere Kostenlose Bücher