dark canopy
immer noch seiner Willkür unterworfen. Ich seufzte und Neél trieb die Pferde an.
Er lenkte unsere Tiere durch das Viertel, in dem der Park und die alte Schule standen. Ich ließ meinen Blick über das Gebäude schweifen und kurz flatterten meine Gedanken zu dem Menschen, dessen Umhang ich damals mitgenommen hatte, im Tausch gegen meine Jacke. Es war der Tag gewesen, an dem sie Amber gefangen genommen hatten. Der Tag, an dem mein Leben in Scherben geschlagen worden war, die sich einfach nicht mehr zusammenfügen ließen. Alles war durcheinander, seit ich meinen Körper, allen Mut, meine Liebe und höchstwahrscheinlich auch meine Seele hergegeben hatte, um die Schuld wiedergutzumachen.
Als wir in der Nähe des Hauses vorbeiritten, in dem Amber und ich den Percents in die Falle gegangen waren, wurde es mir nach langem Verdrängen und Vergessen erst wieder bewusst: Ich hatte darauf bestanden, die lausigen Felle für einen Bruchteil mehr Ertrag direkt zu diesem Schneider zu bringen statt zu den Händlern, wo es sicherer gewesen wäre.
Nur ich.
»Ich möchte dir die Gegend zeigen, in der wir das Chivvy in diesem Jahr abhalten«, sagte Neél irgendwann und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich war überrascht und ein Lächeln mogelte sich in mein Gesicht.
»Warum lachst du?«
»Ich habe überlegt, ob du mir das auch gesagt hättest, wenn ich dich gefragt hätte.«
Auch er lachte, zumindest ein winziges bisschen. »Ich mag es eben nicht, ausgefragt zu werden. Nicht wenn ich die Antwort selbst nicht kenne.«
Ich hatte schon festgestellt, dass die Chancen, Informationen zu bekommen, bei Neél größer waren, wenn man ihn nicht fragte. Nun grübelte ich darüber nach, was ich sagen konnte, um ihn unauffällig dazu zu bringen, mir mehr zu erzählen. Als ich zu ihm sah, fiel mir auf, dass ein Rest des Lachens noch immer in seinen Mundwinkeln gefangen war.
»Was willst du wissen?«, fragte er.
»Graves.« Das Wort kam von allein über meine Lippen. Es erstaunte mich selbst. »Wer ist er?«
Neél kratzte sich an der Wange und lenkte die Pferde über rostige Gleise, zwischen denen Flechten wuchsen. Wir folgten der alten Bahnlinie.
Irgendwann, als ich schon glaubte, er würde nichts mehr sagen, räusperte er sich. »Ein Freund.«
»Sein Name ist morbide, findest du nicht? Graves ...« Ich imitierte ein Schaudern.
»Irgendwer hat wohl mal ein Buch über einen Mann geschrieben, der Graves hieß. Vielleicht hat dieser Graves auch selbst ein Buch geschrieben. In jedem Fall lag es in der Bibliothek des Krankenhauses, in dem unser Graves geboren wurde. Es war zufällig an der Reihe, als es Zeit für ihn wurde, einen Namen zu bekommen. Sie vergeben den Namen, dann wird das Buch verbrannt.«
Ich nickte düster. »Ich habe davon gehört. Es ist ...«, ich suchte nach den Worten, die der alte Laurencio für Leute, die Bücher zerstörten, verwendet hatte. »Verroht. Barbarisch. Unzivilisiert.«
»Nee, es ist scheiße.«
»Das auch.« Ich musterte ihn. Er schien mich nicht zu verspotten, nein, er meinte das ernst, daher wagte ich mich vor. »Interessierst du dich dafür? Das ist immerhin menschliche Geschichte.«
Wieder schwieg er eine Weile, wieder kratzte er sich an der Wange. Beides tat er häufig, wenn er sich unsicher war, aber nie vor anderen Percents.
»Es ist einfach nicht gut, überhaupt nicht zu wissen, wo man herkommt. Wenn man sich das erst mal fragt ... Schwer zu sagen, wie das ist. Es schmeckt wie Fisch, wenn er verdorben ist. Wenn man einmal reingebissen hat, reicht Ausspucken nicht, der Geschmack bleibt.«
Ich musste an meine Eltern denken. Meine Mutter war so früh gestorben und doch hatte ich Tausende von winzigen Erinnerungen an sie tief in mir drin. An meinen Vater besaß ich noch mehr. Ich öffnete sie nicht oft, die Tür zu diesen Gedanken, sie waren wie etwas, das man irgendwo versteckt aufbewahrt, obwohl man es nie benutzt. Aber ich wusste in jedem Moment, den ich atmete, dass ich sie jederzeit hervorholen konnte. Ich hatte Wurzeln. Ich musste sie nur ausgraben, die Erde war locker.
»Ein Buch hilft dir da nichts«, sagte ich kühl. »Die Familie ist mehr als geschriebene Worte. Und nur weil du seinen Namen bekommst, verbindet dich das nicht mit einem Menschen, den du nie gesehen hast und der dich nie gesehen hat - der vielleicht nur erfunden ist. Du hast nichts mit dem zu tun, der einmal Neél hieß.«
»Es wäre besser als nichts. Ich könnte so tun als ob.«
»Warum solltest du?«, fragte
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