DARK MISSION - Fegefeuer
wenn …«
»Schluss!« Mit der freien Hand zog er ihren Kopf zu sich herunter und küsste sie. Ihre Lippen bebten, und als sie den Mund zum Kuss öffnete, entschlüpfte ihr ein leiser kummervoller Laut, der Silas in der Seele wehtat. Gleichzeitig spürte er seine Wut darüber, wie wenig noch gefehlt hatte, und er hätte Jessie für immer verloren. Er zog sie enger an sich. »Ich muss noch jede Menge lernen, ich weiß. Ich hoffe bei Gott, dass es mir gelingt, die Vorurteile abzulegen, die mir die Kirche ein Leben lang eingetrichtert hat.«
»Du wirst Hilfe haben dabei, den ganzen Weg über«, flüsterte sie und streichelte seine Brust.
»Das wird nicht so leicht sein. Ich habe mein ganzes Leben lang fest daran geglaubt, dass Magiebesessene es verdienen zu sterben. Einige Hexen und Hexer verdienen es wirklich. Dafür gibt es genügend Beweise. Aber …« Er unterbrach sich, versuchte sich zurückzunehmen und die Wut auf den Mann zu zügeln, der seine eigene Schwester ans Messer geliefert hätte. Schließlich, als es ihm nicht recht gelingen wollte, strich Silas über Jessies Wange. Über ihre Lippen, die so einladend warm und weich waren. »Wir werden Augen und Ohren offen halten«, sagte er dann. »Wenn er irgendwo wieder auftaucht, dann … reden wir mit ihm.« Zu mehr konnte er sich nicht durchringen.
»Danke!«, sagte Jessie mit einem Seufzer. »Es ist noch nicht vorbei. Das weiß ich genau.«
Er nickte. »Alles wird gut, Sonnenschein, wir bekommen das hin. Was immer dir wichtig ist, gemeinsam bekommen wir es hin.«
Sie gab Laute von sich, die sich nicht zu Silben fügten, Laute voller Gefühl und Sinnlichkeit, sehr weiblich, sehr Jessie. In dem schmalen Bett schmiegte sie sich an ihn, und Silas konnte es nicht lassen, sie zu berühren, sie zu streicheln, seine Hände über ihren Rücken wandern zu lassen. Ihre Schultern. Ihr Haar.
Beinahe hätte er sie verloren. O Gott, es war so verdammt kurz davor gewesen!
Als Jessie hinüber in den Schlaf glitt, eine Wange, in der der Schnitt bereits heilte, an seine Schulter geschmiegt, starrte Silas in die heraufziehende Dunkelheit. Er streichelte Jessies samtene Haut und genoss ihre Wärme, während er in Gedanken die Ereignisse noch einmal durchging. Das Feuer, in dem die sichere Wohnung der Mission niedergebrannt war, die Magie, die ihn hinunter in den Graben geschickt hatte, und das Blut überall an Jessie, widerlich hell und so erschreckend anzusehen, dass er jetzt noch schützend den Arm fester um Jessies Taille legen musste.
Petersons Gesicht, die machthungrigen Augen, die ihn über den großen Holztisch hinweg angestiert hatten, und dann wieder als Curio drunten, tief in der Unterstadt.
Wie war ein Hexer Missionar geworden, wie hatte das passieren können? Wie zur Hölle war der Meister des Zirkels der Erlöser zum Leiter der Mission von New Seattle aufgestiegen?
Würde Silas’ Missionsteam ihn tatsächlich für tot halten? Würde Naomi versuchen, ihn aufzuspüren?
Silas wusste keine Antwort auf diese Fragen; die Dunkelheit hielt sie nicht irgendwo für ihn bereit.
Seine Finger fuhren durch Jessies seidenweiches Haar, und Silas schloss die Augen. Er atmete Jessies Duft ein. Sonnenwärme und Weiblichkeit vermischten sich mit dem würzigen Aroma des Wassers hier in der Bucht, und mit einem Mal war Silas zufrieden.
Es gab für ihn keinen Schreibtischjob. Es gab für ihn keine Missionen zu leiten. Stattdessen hatte er einen sicheren Hafen gefunden, in dem er ausruhen und sich erholen konnte. Er hatte eine seltsame Verbündete in der geheimnisvollen Hexe gewonnen, der dieser sichere Hafen gehörte. Obwohl Silas keine Antworten hatte, keine Richtung, die er seinem neuen Leben hätte geben können, hatte er etwas, das viel besser, stärker war als das. Etwas, das ihm auch in seinen dunkelsten Nächten Kraft geben würde.
Jessie rührte sich, legte eine feingliedrige Hand auf seine Brust und seufzte. In diesem Laut, so leise er war, nur ein Hauch, hörte Silas Erleichterung. Hoffnung. Trost. Seinen Namen.
Jessie und er waren am Leben. Sie waren am Leben, und Jessie liebte ihn.
Das war mehr als genug.
Über die Autorin
Karina Cooper , geboren in San Francisco, zog während ihrer Kindheit oft um und lernte diverse Menschen und Kulturen kennen. Dieser Erfahrung verdankt sie ihre wilde Fantasie, sagt sie. Cooper liebt es Fantasy-Romane zu schreiben, die mit einer Prise Romantik gewürzt sind. Wenn sie dies nicht tut, entwirft sie neoviktorianische Outfits.
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