Dark Moon
sagte sie und strahlte mich an, so als würde sie mich schon seit ewigen Zeiten kennen.
»Warum gerade Vancouver? Ich meine, jeder träumt davon, in New York zu leben, und Sie ziehen freiwillig hierher!«
»Manhattan war nur eine Station auf einer langen Reise. Vor fünfzig Jahren habe ich sie begonnen und hier wird si e – so oder s o – ihr Ende finden«, erwiderte Emilia leise.
Mark und ich blickten einander überrascht an. Diese Frau sah nicht so aus, als würde sie in der nächsten Zeit sterben.
Da hörten wir auf einmal das auf- und abschwellende Dröhnen eines schweren Dieselmotors sowie das Zischen von Bremsen. Der Umzugswagen war da. Und er war wirklich riesig.
»Gehört einem von Ihnen dieses klapprige Teil da?«, fragte ein schnauzbärtiger, kräftiger Mann. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte uns vorwurfsvoll an. Offensichtlich war mein Käfer gemeint, der an der Hecke am Straßenrand parkte und dem Mack Truck im Weg stand.
»Ich fahre ihn ein Stück vor«, sagte ich.
»Ein Stück wird nicht reichen, Miss. Hinter uns kommt noch so ein Ding.«
Noch so ein Ding? Ich betrachtete den Lastwagen genauer. Das war ein Sechzehntonne r – mindestens. Und von denen hatte Emilia Frazetta gleich zwei gemietet?
»Das sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Die meisten Bilder sind sehr wertvoll und müssen aufwendig verpackt werden. Deshalb brauchen sie so viel Platz.«
Ich bugsierte mein Auto an der Kolonne vorbei zum Anfang der Straße, da ich befürchtete, dass die Zufahrt blockiert sein würde, wenn die Umzugsleute erst einmal mit dem Ausladen anfingen.
Mark übergab Emilia die Schlüssel. »Willkommen daheim.« Seine Stimme war ganz ohne Bitterkeit.
Emilia betrachtete nachdenklich den Bund in ihrer Hand. »Können wir offen miteinander reden?«, fragte sie Mark.
»Natürlich.«
»Für mich ist dieses Anwesen einfach nur der Ort, an dem ich die letzten Tage meines Lebens verbringen möchte. Für dich ist es jedoch viel mehr: dein früheres Zuhause.«
»Hören Sie, M s Frazett a …«
»Emilia«, korrigierte sie ihn.
»Emilia, ich brauche Ihr Mitleid nicht.«
»Von Mitleid habe ich nicht gesprochen.« Sie sah ihn eindringlich an. »Ich bin eine Geschäftsfrau«, sagte sie schließlich. »Ich liebe die Kunst, aber ich wäre eine schlechte Galeristin, wenn ich eine günstige Gelegenheit auslassen würde, wenn sie sich mir bietet. Bevor ich ein Angebot für dieses Haus abgegeben habe, habe ich mich genau über deine Familie informiert. Dein Vater ist in einer Notlage und ich habe davon profitiert. Noch vor einem Jahr hätte man für diese Immobilie sehr viel mehr hinlegen müssen. Doch auch diesen höheren Preis hätte ich gezahlt, denn hier gefällt es mir. Dieses Haus ist von jemandem entworfen und gebaut worden, der etwas von Kunst versteht. Es erfüllt meine Bedürfnisse: Die hohen Wände und die Lichtverhältnisse sind ideal für Gemälde.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Mark.
»Ich möchte, dass du Abschied nehmen kannst.«
»Wie bitte?« Mark schien überhaupt nicht zu verstehen, was Emilia meinte. Und da ging es ihm wie mir.
»Als ich noch in New York gelebt habe, stand mein Haus allen guten Freunden offen. Und so möchte ich es auch hier halten.«
Mark runzelte die Stirn. »Tut mir leid, ich kann Ihnen noch immer nicht folgen.«
»Ich möchte, dass du siehst, was ich aus deinem Haus mache. Und ich möchte, dass es dir gefällt und du akzeptierst, dass sich die Dinge ändern.«
»Und dann?«
»Dann wirst du damit abschließen«, gab sie zur Antwort.
Mark lachte trocken. »Was sind Sie?«, fragte er. »Eine Therapeutin?«
»Nein, Mark. Ich verstehe nur etwas vom Abschiednehmen.« Endlich schloss sie die Tür auf. »Und außerdem möchte ich euch als Freunde gewinnen.« Sie wandte sich ihm zu. »Haben wir eine Abmachung?«
Diese direkte Art war typisch für Emilia Frazetta. So lernten wir sie kennen.
»Ja«, versprach Mark.
»Wunderbar«, sagte Emilia. »Und nun sollten wir die Umzugsleute ihre Arbeit machen lassen.«
Sofort setzte sich der Tross der Möbelpacker in Bewegung und begann, nach einem genau ausgetüftelten Plan die Lastwagen zu entladen.
Wenn normale Menschen sich einrichten, stellen sie erst die Möbel auf und suchen dann einen Platz für ihre Bilder. So hätte ich das jedenfalls gemacht. Hier lief es jedoch genau anders herum. Die Gruppierung der Möbel hatte sich den Gemälden
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