Dark one 03 - Kuesst du noch oder beisst du schon- neu-ok
oder?“, fragte ich.
Dass meine
Stimme furchtbar zitterte, war mir in diesem Moment egal. Ich hätte am liebsten
mein Gesicht in einem Kissen vergraben und eine ganze Weile geheult, aber da
mein Leben gerade völlig aus dem Ruder zu laufen schien, würde ich dazu wohl
keine Gelegenheit bekommen.
„Ich werde
Sie nicht gefangen halten, wenn Sie das meinen, aber ich möchte Sie um Hilfe
bitten.“ Sie schob ein Kaffeegedeck zur Seite, setzte sich auf die Kante des
Beistelltisches und wartete darauf, dass ich wieder Platz nahm. Das tat ich
auch, und zwar ganz langsam - nicht so sehr aus Misstrauen ihr gegenüber (es
war eindeutig, dass sie hier das Sagen hatte) als vielmehr aus Sorge um meinen
Kaffee, den ich nicht auf den makellosen Teppich verschütten wollte.
„Obwohl ein
Koboldfleck bestimmt viel schlechter rausgeht als Kaffee“, murmelte ich vor
mich hin.
„Hundertmal
schlechter, aber ich habe Sie nicht hergeholt, um Haushaltstipps mit Ihnen
auszutauschen.“
Ich nahm
vorsichtig einen Schluck von dem Kaffee und war bereit, ihn sofort wieder
auszuspucken, wenn er auch nur im Entferntesten komisch schmeckte. Doch das tat
er nicht. Eigentlich war mir der leicht rauchige Geschmack sogar sonderbar
vertraut. Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Französische
Röstung von Starbucks?“
„Natürlich,
was sonst?“
„Die
Sumatra-Mischung mag ich auch ganz gern, aber mit der Französischen Röstung
kann man nichts falsch machen.“
„Sie ist
perfekt. Aber finden Sie die Sumatra-Mischung nicht ein wenig zu würzig?“
„Nur nach
dem Essen. Aber für Zwischendurch oder für einen Milchkaffee ist sie wunderbar.“
„Aha, für
Milchkaffee habe ich Sumatra noch nie verwendet“, entgegnete Melissande
nachdenklich. „Das werde ich bei nächster Gelegenheit ausprobieren.“
Von Kobolden
zu Starbucks in zehn Sekunden. Ich wurde offenbar wahrhaftig verrückt. „Mrs.
Banacek...“
„Nennen Sie
mich Mel“, sagte sie. Ich sah sie erstaunt an. Niemand sah weniger nach „Mel“
aus als diese elegante, kultivierte Frau. Sie runzelte die Stirn. „Nein?“
„Ah... ich
glaube nicht.“
„Wie wäre es
mit Sandy? Sehe ich nach Sandy aus?“
Als ich den
Kopf schüttelte, seufzte sie. „Ich wollte schon immer einen Spitznamen haben,
aber mir wollte nie jemand einen geben. Dann nennen Sie mich eben Melissande,
obwohl ich Lissa eigentlich recht hübsch finde.“
„Melissande“,
sagte ich, stellte meine Tasse ab und sah die Dame des Hauses ernst an. „Sie
haben mich engagiert, damit ich die Inschrift auf der Innenseite eines
Brustpanzers aus dem frühen 14. Jahrhundert übersetze, der nach dem heutigen
Stand der Forschung eigentlich ins Reich der Sagen und Legenden gehört. Sie
haben mich mit einer Beschreibung und Fotos von der Rüstung geködert, die so
verlockend waren, dass ich gar nicht anders konnte, als Ihr Angebot anzunehmen.
Sie haben mich vermutlich hergeholt, weil Sie jemanden brauchen, der sich mit
alten europäischen Sprachen auskennt, aber mich beschleicht allmählich der Verdacht,
dass sie mich noch aus einem ganz anderen Grund um die halbe Welt haben fliegen
lassen. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie mir diesen Grund
nennen würden.“
Sie nickte. „Eine
berechtigte Bitte. Ich begrüße Ihre Offenheit und Ihr sympathisches Bestreben,
direkt zur Sache zu kommen. Wissen Sie, Sie sind eine Bannwirkerin und ich
brauche ganz einfach Ihre Hilfe, um meinen Neffen und meinen Bruder zu finden.“
Ich
erstarrte. Das Wort, das ihr so leicht über die Lippen kam, ließ mir das Blut
in den Adern gefrieren. Bannwirkerin. Dieses Wort hatte ich fast zehn Jahre
nicht mehr gehört. Zehn lange Jahre. Ich schluckte den Kloß hinunter, den ich
plötzlich im Hals hatte, doch meine Stimme klang heiser. „Ich verstehe zwar
etwas von altem Brauchtum, aber an meinem Fachwissen als Mediävistin ist Ihnen
anscheinend nicht gelegen?“
„Nein“,
entgegnete sie ernst. „Ich brauche jemanden, der sich mit Bannen und Flüchen
auskennt. Sie sind eine Bannwirkerin. Das wurde Ihnen in die Wiege gelegt, aber
wie ich hörte, haben Sie seit einem Unfall in der Collegezeit keinen Gebrauch
mehr von Ihrer Begabung gemacht... „
Bestürzt hob
ich die Hand, um Melissande Einhalt zu gebieten. Mir war, als zöge sich ein
festes Band um meine Brust, und ich bekam kaum noch Luft.
„Verzeihen
Sie, Nell. Ich bedaure, dass ich diese unglückselige Sache erwähnen muss, aber
es gibt einen Bezug zu meinem
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