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Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)

Titel: Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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Libby Day
    Jetzt
    I n meinem Innern haust eine Fiesheit, so real wie ein Organ. Würde man mir den Bauch aufschlitzen, käme sie wahrscheinlich auf der Stelle rausgeflutscht, fiele fleischig dunkel zu Boden, und man könnte auf ihr herumtrampeln. Es ist das Day-Blut. Irgendwas stimmt nicht damit. Ich war nie ein braves kleines Mädchen, und nach den Morden wurde es nur noch schlimmer mit mir. Mürrisch und labil wuchs die kleine Waise Libby heran, weitergereicht von einem weitläufigen Verwandten zum anderen – Cousins zweiten Grades, Großtanten oder auch Freunde von Freunden, quer durch Kansas, in Wohnwagen oder verrotteten Ranchhäusern. In der Schule trug ich die Sachen, die ich von meiner toten Schwester geerbt hatte: Shirts mit schweißgelben Achseln, Hosen mit herunterhängendem Gesäß, zusammengehalten von einem schäbigen, bis ins letzte Loch gezurrten Gürtel. Auf Klassenfotos war ich grundsätzlich ungekämmt – Haarspangen hingen windschief an einzelnen Strähnen, als wären es Flugobjekte, die sich darin verfangen hatten – und hatte immer dicke Tränensäcke unter den Augen, wie eine versoffene alte Gastwirtin. Vielleicht brachte ich widerwillig eine leichte Krümmung der Lippen zustande, wo bei anderen ein Lächeln war. Aber nur vielleicht.
    Ich war kein liebenswertes Kind, und ich entwickelte mich auch zu keiner liebenswerten Erwachsenen. Wenn man meine Seele zeichnen könnte, wäre es irgendein wildes Gekritzel mit deutlich sichtbaren Reißzähnen.
     
    Es war März, scheußlich und nass wie immer. Ich lag im Bett und ging einem meiner Hobbys nach – ich malte mir aus, mich umzubringen. In solchen Tagträumen schwelgte ich gern: Ein Gewehr, mein Mund, ein Knall, mein Kopf ruckt einmal, ruckt zweimal, Blut spritzt an die Wand. Splatter, splatter. »Wollte sie begraben oder eingeäschert werden?«, fragen die Leute. »Wer kommt zur Beerdigung?« Aber niemand weiß eine Antwort. Die Leute glotzen einander auf die Schuhe oder Schultern, bis die Stille sich eingenistet hat, und dann setzt einer Kaffee auf, energisch und mit viel Geklapper. Kaffee und plötzliche Todesfälle passen immer gut zusammen.
    Ich streckte einen Fuß unter der Decke heraus, brachte es aber nicht über mich, ihn auf den Boden zu setzen. Vermutlich war ich mal wieder deprimiert. Vermutlich war ich die ganzen letzten vierundzwanzig Jahre deprimiert. Irgendwo in mir spüre ich gelegentlich eine bessere Version meiner selbst – versteckt hinter der Leber oder als eine Art Anhang an der Milz, tief im Innern meines unterentwickelten, kindlichen Körpers –, eine Libby, die mir sagt, ich soll aufstehen, erwachsen werden, die Vergangenheit hinter mir lassen. Aber für gewöhnlich gewinnt die Fiesheit rasch wieder die Oberhand. Mein Bruder hat meine Familie abgeschlachtet, als ich sieben Jahre alt war. Meine Mom, meine zwei Schwestern, alle tot: Peng peng, hack hack, würg würg. Danach brauchte ich eigentlich gar nichts mehr zu tun. Keiner erwartete etwas von mir.
    Als ich achtzehn wurde, erbte ich 321 373 Dollar, gestiftet im Laufe der Jahre von all den wohlmeinenden Menschen, die von meiner traurigen Geschichte gelesen hatten, Gutmenschen, deren
Herz von meinem Schicksal zutiefst gerührt war
. Sooft ich diesen Satz höre – und ich höre ihn oft – stelle ich mir automatisch kitschige Herzen mit Flügelchen vor, die zu einer meiner heruntergekommenen Kindheitsbehausungen flattern. Dort stehe ich am Fenster, ein kleines Mädchen, winke und greife nach den schimmernden Kitschherzen, während von oben grüne Dollarscheine auf mich herabregnen.
Danke, vielen, vielen Dank!
Solange ich noch klein war, wurden die Spenden auf ein konservativ verwaltetes Bankkonto eingezahlt, dessen Stand alle drei bis vier Jahre, wenn wieder einmal eine Zeitschrift oder eine Nachrichtensendung einen Beitrag über mich brachte, sprunghaft anstieg. Ein großer Tag für die kleine Libby Day: Die Überlebende des Prärie-Massakers wird bittersüße zehn Jahre alt. (Ich mit zerzausten Rattenschwänzchen auf dem von Opossum-Pisse getränkten Rasen vor dem Trailer meiner Tante Diane. Hinter mir, unter dem für sie ganz untypischen Rock, Dianes baumstammdicke Waden.) Unsere tapfere Libby Day ist süße sechzehn! (Ich, immer noch viel zu klein, das Gesicht im Schein der Geburtstagskerzen, das Shirt viel zu eng über meinen Brüsten, die sich in diesem Jahr zu Körbchengröße D entwickelt hatten und an meinem zierlichen Körper wie eine Karikatur

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