Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Namen rufend, auf den Weg nach draußen. Libby war ein flinkes Kind, eine gute Läuferin, sie konnte inzwischen die Auffahrt hinunter und bis zum Highway gerannt sein. Oder sich an ihrer üblichen Stelle am Teich versteckt haben. Der Schnee knirschte unter seinen Schritten, und er fragte sich, ob alles womöglich doch nur ein schlechter Trip gewesen war. Wenn er zum Haus zurückkam, war vielleicht alles wieder wie immer. Wenn er wieder durch die Tür trat, würde er das leise Klicken des Schlosses hören, und alles war normal, alle schliefen, eine Nacht wie jede andere.
Dann sah er plötzlich wieder Diondra vor sich, wie sie einem riesigen Raubvogel gleich auf Michelles kleinem Körper hockte, wie sie beide im Dunklen zitterten, und da wusste er, dass nichts je wieder gut werden würde, und er wusste außerdem, dass er Libby nicht ins Haus zurückbringen würde. Als er den Lichtkegel der Taschenlampe über das Schilf wandern ließ, sah er zwischen dem matten Gelb der Halme ihre roten Haare aufblitzen, und er rief: »Libby, bleib, wo du bist, Schätzchen!«, drehte sich um und rannte zurück zum Haus.
Dort fand er Diondra, die mit der Axt auf die Wände, auf die Couch einhackte, schreiend, mit gebleckten Zähnen. Sie hatte mit Blut irgendwelches Zeug an die Wand geschrieben und mit ihren Männerschuhen überall Spuren hinterlassen, sie hatte in der Küche Rice Krispies gegessen und in die Gegend gestreut, sie hatte eine Unmenge Fingerabdrücke hinterlassen, und sie schrie ihn an: »Es soll toll aussehen, los, hilf mir!« Aber Ben wusste, dass es nichts anderes war als ein Blutrausch, das gleiche Gefühl, das auch er kannte, dieses Auflodern von Wut und Macht, bei dem man sich so unendlich stark fühlte.
Die Fußspuren entfernte er ziemlich gründlich, obwohl er es schwierig fand zu entscheiden, welche von Diondra stammten und welche von dem Mann – wer war dieser verdammte Mann überhaupt gewesen? Dann wischte er alles ab, was Diondra angefasst hatte – die Lichtschalter, die Axt, die Schränke, die Sachen in seinem Zimmer, und als er dabei war, erschien Diondra in der Tür und sagte: »Ich hab Michelles Hals saubergemacht.« Ben gab sich alle Mühe, nicht nachzudenken. Denk nicht. Die Worte an der Wand ließ er stehen, denn er wusste nicht, wie er sie wegputzen sollte. Anscheinend war Diondra mit der Axt auch auf seine Mom losgegangen, sie hatte seltsame neue Wunden, tiefe Wunden, und er fragte sich, wie Diondra so ruhig sein konnte, er fragte sich, wann seine Knochen schmelzen und er zusammenbrechen würde. Aber er sagte sich,
reiß dich zusammen, sei ein Mann, verdammt, tu es, sei ein Mann, tu, was getan werden muss, sei ein Mann
, und dann führte er Diondra aus dem Haus, das bereits nach Erde und Tod roch. Als er die Augen schloss, sah er eine rote Sonne und dachte wieder
Vernichtung
.
Libby Day
Jetzt
W ahrscheinlich würde ich noch ein paar Zehen verlieren. Fast eine Stunde saß ich vor einer geschlossenen Tankstelle, rieb mir meine schmerzenden Füße und wartete auf Lyle. Jedes Mal, wenn ein Auto vorbeifuhr, ging ich hinter dem Gebäude in Deckung, für den Fall, dass es Crystal und Diondra waren, die mich suchten. Wenn sie mich hier fanden, konnte ich nicht mehr weglaufen. Dann saß ich in der Falle, und es war vorbei mit mir. Jahrelang hatte ich mir gewünscht zu sterben, aber in letzter Zeit nicht mehr – und schon gar nicht wegen dieser beiden Zicken.
Zwar hatte ich fest daran geglaubt, dass das Telefon vor der Tankstelle hinüber war, aber es funktionierte, und ich hatte Lyle per R-Gespräch angerufen. Noch bevor die Vermittlung aus der Leitung war, legte Lyle schon los:
Hast du es gehört? Hast du es schon gehört?
Nein, ich habe nichts gehört. Ich will es auch nicht hören. Komm und hol mich. Ehe er mich mit Fragen löchern konnte, legte ich lieber auf.
»Was ist passiert?«, fragte Lyle, als er endlich vor der Tankstelle hielt. Meine Zähne klapperten, meine Knochen klapperten, die Kälte ging mir durch Mark und Bein. Ich hechtete ins Auto, die Arme mumienartig um mich geschlungen.
»Diondra ist quicklebendig, so viel ist sicher. Bring mich heim, ich muss nach Hause.«
»Du musst ins Krankenhaus, dein Gesicht … ist … Hast du dein Gesicht gesehen?« Er zog mich unter die Innenbeleuchtung seines Autos, um den Schaden besser in Augenschein nehmen zu können.
»Ich weiß, wie mein Gesicht sich anfühlt, das reicht mir.«
»Oder sollen wir zur Polizei gehen? Was ist passiert? Ich
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