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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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nicht.‹«
    »Redest du jetzt wie ein Wasserfall, damit du die Umschläge nicht aufzumachen brauchst?«
    »Muss ich fürs Labyrinth irgendwas besorgen?«
    Püppi sah sie irritiert an: »Das scheint ja dringend zu sein.«
    Fiona nickte. »Ich muss ficken heute Abend, ich weiß gar nicht, wohin mit mir, das war alles zu viel. Ich kann erst wieder klar denken, wenn ich mich abreagiert habe.«
    Püppi zog die Augenbrauen hoch und sagte nichts weiter. Fiona drehte den Umschlag in ihren Händen.
    »Mit Tante Lorinas Töchtern ist es irgendwie komisch; die ältere ist gestorben, aber ich weiß nicht, woran, und die jüngere ist weggegangen, als sie sechzehn oder siebzehn war. Einen Mann gibt es auch nicht. Beide haben verschiedene Väter, und mit keinem hat Tante Lorina zusammengelebt. ›Man trifft sich, benutzt sich, geht seiner Wege‹, sagt sie gerne.«
    Püppi schob die Unterlippe vor. »Sehr romantisch. Und nicht gerade das Ideal der Sekte nebenan.«
    »Sie hat sie gehasst. Sie hat dafür gesorgt, dass Evi, also die Tochter des Predigers, in ein Heim kam, da habe ich sie kennengelernt. Der Vater wurde immer fanatischer, dann fand er, es sei eine Superidee, die Sekte zu gründen und der Oberguru zu werden. Er hat Evi völlig vernachlässigt und wahrscheinlich auch misshandelt. Trotzdem ist sie nach dem Heim gleich zurück zu ihm.«
    Püppi legte seine Hand auf ihren Arm. »Wollen wir uns jetzt mal den Fotos widmen? Schaffst du das?«
    Fiona schaute ihm direkt in die Augen, ohne zu blinzeln. Ihr Mund war fest, fast ausdruckslos. »Ich hab schon Schlimmeres gesehen, und da war ich jünger. Das sind nur Fotos. Ich bin keine Zimperliese, Püppi.«
    Er legte den Kopf schief. »Zimperliese wär auch ein schöner Nickname«, sagte er leise. Dann öffnete er zuerst den braunen Umschlag, den Lorina Fiona freiwillig mitgegeben hatte, und reichte ihr einen dünnen Stapel.
    Lorina hatte zwar gesagt, sie hätte die Polizisten bei der Arbeit fotografiert, aber tatsächlich hatte sie wohl schon früher am Fenster gestanden. Das erste Foto, das Fiona und Püppi betrachteten, zeigte einen jungen Mann im Garten, den Körper unnatürlich verrenkt wie in einem spastischen Krampf, das Gesicht so verzerrt, dass man es kaum erkennen konnte.
    »Das ist Jan, Evis Freund. Den hat sie auch abserviert.«
    Eine Großaufnahme von seinem schreienden Gesicht, Speichel und Rotz liefen über sein Kinn, die Augen waren so verdreht, dass sie wie weiße Kiesel in den Höhlen steckten.
    Dann zwei parkende Polizeiwagen. Ältere Männer in Zivil und eine sehr junge Frau in Uniform, die auf das große Tor zustürmten.
    Eine Aufnahme von der Hausfront. Die junge Polizistin erbrach sich direkt neben der Treppe ins Gras.
    Zwei Blechsärge wurden durch den Garten getragen. Dahinter die junge Polizistin, die ein Absperrband abrollte. Auf dem Gehweg ein Jogger mit offenem Mund.
    Weitere Polizeiwagen. Die Gruppe, die sie schon kannten, und zwei neue Gesichter, vielleicht Gerichtsmediziner, eine ältere Frau mit einem metallenen Koffer und ein Mann im weißen Ganzkörperanzug mit einem Fotoapparat.
    Das war das Letzte.
    »Nicht wirklich aussagekräftig«, sagte Püppi, »Polizei bei der Arbeit halt. Gekotzt hab ich auch, wenn der Tatort zu eklig war. Dann ist man direkt der Loser.«
    »Heißt du deshalb Püppi?«, fragte Fiona, um irgendetwas zu sagen und das Öffnen der zweiten Fototasche zu verzögern.
    Püppi antwortete nicht, klaubte die restlichen Bilder heraus und warf erst einen Blick darauf, bevor er sie Fiona gab.
    »Willst du das wirklich sehen? Ich würd’s lassen an deiner Stelle.«
    »Du bist nicht an meiner Stelle.«
    Das erste Bild: Evi. Kaum wiederzuerkennen. Der starke Zoom machte das Bild grobkörnig wie in einem Filmstill. Man sah am Rand die verschwommenen Umrisse eines Holzrahmens, offenbar war es mit Teleobjektiv durch das Fenster aufgenommen. Die Beleuchtung war schlecht, es musste früher Morgen sein. Ihr Hals war merkwürdig abgeknickt, der Kopf hing zur Seite. Der Schädel war kahl rasiert.
    Das zweite Bild: ein größerer Ausschnitt. Evi saß offenbar am Schreibtisch. Ihre Arme baumelten schlaff herab.
    »Sie hatte so schöne goldene Haare. Darauf war sie immer stolz.«
    Die Augenlider waren geschlossen. Mit dunkler Wolle oder Garn hatte ihr jemand zwei große X darüber genäht, von den Augenwinkeln bis zur Braue. Es sah aus wie schlecht geschminkt oder nachträglich ins Bild hineingemalt. Auch über dem Mund war ein X, das ihre Lippen

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