Dark Room
ein großes, rotes Plüschherz. Dann war über Fiona plötzlich Blaskapellenmusik, sie sah hoch und fand sich zwischen den Stelzen einer Gruppe Artisten wieder, die über der Menge Tuba spielten und Trommeln schlugen, während sie auf ihren Giraffenbeinen durch die Leute staken. Andere pusteten riesige Seifenblasen, die zu Boden schwebten und zerplatzten, wenn Kinder hineinsprangen. Fiona lief an übergroßen Ballontieren und aufblasbaren Figuren vorbei, ein gigantischer Hase verdeckte die Sicht auf das Haus hinter ihm, laternenhohe Blumen wiegten sich im Luftzug, und Menschen spielten mit Heliumfiguren, die doppelt so groß waren wie sie selbst, eine Art einfaches Schach auf einem schwarz-weißen Boden. Weiter hinten gab es eine Fläche zwischen zwei Häusern, wo Maxigolf gespielt wurde mit Softbällen, die mächtiger waren als die Kinder, die sie herumrollten. Fiona wurde schwindlig, weil sie ständig nach oben starrte, sie stolperte, nahm dann noch einmal Anlauf und sprintete an einem Karussell vorbei, auf dem Kinder in Teetassen saßen. Menschen in einem fliegenden Teppich, der hoch über dem Jahrmarkt hin und her schwang, kreischten bei jedem Richtungswechsel. Jemand stieß Fiona fast um, und sie fing im letzten Moment ihren kleinen Kuchen auf und rannte weiter. Weiter hinten neben einem Popcornwagen entdeckte sie endlich Püppi, der in einen Park ging. Fionas Füße flogen, und sie ließ Püppi nicht aus den Augen, erreichte den Park und holte ihn schließlich schnaufend ein.
»Eule«, sagte er und sah ratlos auf Fiona, die ihm den Kuchen entgegenhielt. »Angebissenes Backwerk«, sagte er und grinste.
Sie lächelte auch. Beide schwiegen.
Schließlich, als sie ihn immer noch nur anschaute, deutete er auf einen Baum, dessen Wurzeln wie die Arme eines riesigen Tintenfisches aus dem Erdreich ragten.
»Vielleicht essen wir ein Stück im Schatten?«, schlug er vor, und weil Fiona bloß nickte, meinte er: »Dein Kuchen ist wesentlich gesprächiger als du.«
Sie setzten sich ins Gras, der Lärm des Jahrmarktes schallte zu ihnen herüber. An den Stamm gelehnt standen mannshohe Spielkarten aus dünnen Sperrholzplatten, vorn drauf die Pikdame mit entblößtem Dekolleté, offenbar klappbare Werbetafeln, die man anziehen und herumtragen sollte. Jetzt bemerkte Fiona auch die drei dazugehörenden Männer, die etwas abseits neben einem Mülleimer rauchten.
»Kannst du mich heute Nacht mit ins Labyrinth nehmen? Ich hab den Recall verpasst«, sagte Fiona schließlich. Püppi sah fast ein bisschen enttäuscht aus, und Fiona schämte sich, ohne zu verstehen, wofür. Püppi brach ein Stück Kuchen heraus und kaute, kommentierte noch »Veilchenaroma« mit vollem Mund und schaute dann wieder nur zum Jahrmarkt hinüber.
Fiona griff zögerlich in ihre Jacke und holte den braunen Umschlag heraus. Fischte auch den kleineren aus ihrer Jeans.
»Du bist gepolstert mit Umschlägen.«
»Im Labyrinth hat mir mal jemand erzählt, dass du früher bei der Polizei warst.«
Er nickte.
»Du musst mir schwören, es niemandem zu verraten und mich auch nichts zu fragen. Ich hab hier Fotos von dem toten Prediger und seiner Tochter.«
Er sah sie plötzlich mit der Wachsamkeit eines Tieres an, das irgendein Geräusch gehört hat und danach stocksteif dasteht und wartet, ob es angreifen oder flüchten soll.
»Ich kann dir nicht sagen, woher ich sie habe. Die Tochter war meine Freundin, also früher war sie meine Freundin.« Sie wollte den Umschlag noch nicht öffnen und fragte deshalb, als wäre es ihr gerade eingefallen: »Warum warst du heute am Sektenhaus?«
»Jemand streut Gerüchte, die Grinsekatze hätte etwas mit den Morden zu tun. Wir versuchen, die Sache im Auge zu behalten. Ich wollte mir das mal ansehen.« Er biss wieder von dem Kuchen ab und reichte ihn Fiona weiter. Jetzt, wo sie sich an das blumige Aroma gewöhnt hatte, schmeckte er ihr.
»Ich habe meine Tante besucht, sie wohnt neben dem Priester. Na ja, sie ist nicht meine richtige Tante. Sie hat sich um mich gekümmert nach dem Tod meiner Eltern, ich war oft zu Besuch. Eigentlich wollte sie mich sogar bei sich aufnehmen, aber dann hat sich ihre jüngere Tochter quergestellt, und wir haben es gelassen. Ich hab nie verstanden, warum ihre Tochter so dagegen war, sie hatte schon gar nicht mehr zu Hause gewohnt. In der einen Woche hieß es noch, ich beantrage die Pflegschaft für dich, dann wohnen wir zusammen, und in der nächsten, meine Tochter sagt: ›Nein, es geht
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