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Dark Room

Dark Room

Titel: Dark Room Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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verpasst, sich umgehend dafür anzumelden. Sie tigerte wie ein gefangenes Tier durchs Wohnzimmer. Sie hätte einen Besuch im Labyrinth so dringend gebraucht. Seit das mit Evi passiert war, schlief sie fast nicht mehr, und wenn doch, dann träumte sie in hyperrealistischen Bildern von blauen Fliesen, deren Kälte sie sogar im Traum spüren konnte. Sie wusste, dass das Einzige, was sie zur Ruhe kommen ließ, Sex war, sich stundenlang das Hirn herauszuficken, bis ihr Körper sich anfühlte wie entsaftet und durch die Mangel gedreht und in ihrem Kopf endlich einmal Ruhe herrschte und ihre Muskeln nicht ständig zuckten, als wollte sie auf irgendetwas oder -jemanden einprügeln. Und diese Chance hatte sie nun vertan, denn verspätete Meldungen akzeptierte die Grinsekatze nicht, so hielt sie ihre Kunden bei der Stange und die Zahl der Partyteilnehmer überschaubar.
    Und dann hatte ihr auch noch, während sie im Garten war, Tante Lorina einen ihrer mütterlichen Erpressungsanrufe auf die Mailbox gesprochen. »Liebes? Du warst seit unserem Gespräch nicht mehr erreichbar, ich mache mir Sorgen! Meld dich bitte umgehend, oder besser noch: Komm her! Ich habe gebacken und warte auf dich. Ein Nein akzeptiere ich nicht. Um drei, meine Kleine!«
    Fiona seufzte, wusste aber, dass sie sich fügen würde.
    Und nun stand sie hier, die Elendstouristen und die Sektenjünger im Rücken, und drückte auf Lorinas Klingel, der Summer erklang, und während sich die Haustür hinter ihr schloss, hörte sie vom Nachbargrundstück die ersten Takte von »O seel’ge Jungfrau, rein im Schmerze«, das auch Evi oft gesungen hatte.
    Tante Lorinas Wohnungstür war nur angelehnt. Fiona klopfte und trat dann ein. Die alte Frau stand am Fenster, die dunkel gefärbten schütteren Haare zu einem Helm hochtoupiert, den Körper in einen bunten Satinkimono mit großen Blumen und Drachen gewickelt. Quer über dem Oberkörper trug sie eine metallene Abendtasche in der Form dreier nebeneinanderstehender Cupcakes, eine Törtchentasche, wie sie in den Neunzigern einmal Mode gewesen war. Die Farben waren grell und schon leicht abgestoßen, und zwischen den kleinen Kuchen war die Tasche mit Pailletten und Strasssteinen besetzt. Ein goldenes Schloss glänzte obenauf.
    Lorina hielt einen Kessel, aus dem sie kochendes Wasser in ihre Blumenkästen goss. Dampf stieg auf, und ohne hinzusehen winkte Tante Lorina Fiona zu und rief: »Komm rein, Kindchen, ich kümmere mich nur noch um die Schnecken. Die Viecher werden immer mehr. Überhaupt wird das Ungeziefer hier zunehmend lästiger.«
    Sie zeigte auf die Sektenanhänger auf dem Nachbargrundstück und die Menschenmenge vor dem Tor. »Drinnen die Irren und draußen die Elendstouristen, da weiß man gar nicht, was ekelhafter ist. Die haben das Straßenfest um die Ecke nicht abgesagt, stell dir das vor.«
    Sie schnaubte und zupfte an dem Kimono. »Ich wünschte, die könnte man mit kochendem Wasser ausmerzen, aber das muss man wohl ertragen.«
    Sie drehte sich zu Fiona um, stellte den leeren Kessel auf ein Schränkchen, das über und über mit Muffins auf Tellern, Schalen und Etageren bedeckt war, und öffnete die Arme. Fiona küsste sie auf die Wange. Die alte Frau hielt sie an den Schultern und betrachtete sie streng. »Du hast dich nicht gemeldet nach deinem Anruf. Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber du gehst ja nie ran. Alles in Ordnung?«
    Fiona zuckte die Achseln und wies mit dem Kinn in Richtung der Sekte. »Nicht wirklich.«
    Tante Lorina drängte sie auf einen Sessel und reichte ihr ein Tablett voller Muffins. Fiona nahm einen, der mit pinken Hasenohren verziert war.
    Tante Lorina lächelte. »Wenn ich nachts nicht schlafen kann, backe ich. Die Schmerzen werden schlimmer. Das wussten wir ja.« Sie wedelte mit der Hand vor dem Gesicht und wechselte das Thema. »Wie geht es dir? Was hast du gemacht in diesen Tagen?«
    Fiona schluckte den letzten Bissen des Muffins hinunter und zählte an den Fingern ab: »Ich habe geschlafen, gegessen, geatmet, tief ein und auch wieder aus, ich habe mich gewaschen und war bei der Arbeit, ich bin laufen gewesen. Und wenn die Gedanken gekommen sind, habe ich leise vor mich hin gezählt. So wie du es mir beigebracht hast.«
    Tante Lorina strich ihr über die Haare. »Gutes Mädchen. Regelmäßigkeit ist das Wichtigste.«
    Und Fiona ergänzte, als würde sie einen Kalenderspruch aufsagen: »Der Alltag gibt die Sicherheit. Nicht zurücksehen. Man läuft nur ohne zu stolpern, wenn man

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